Gedanken zum Jahreswechsel

Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. (Offenbarung Kapitel 21, Vers 6)

Foto: Gert Holle
Foto: Gert Holle

Von Regine Jünger

 

 „Du denkst im Winter auch: Ich mach mal die Tür auf, draußen sind’s 10 Grad Celsius, hier drinnen 20 Grad – dann wird’s schön mollig warm bei 30 Grad!“

 

Das sagte mein Physiklehrer im Jahr 1978. Ich habe diesen Satz bis heute nicht vergessen habe und er hat mein Verhältnis zu ihm und zur Physik nachhaltig beeinflusst.

 

„Das schaffst du nie“ oder „du bist dafür doch zu blöd“, hätte er auch sagen können. Dabei ist Physik eigentlich interessant, aber… bin ich nicht doch zu doof dafür…?

 

Umgekehrt ein: „Ich glaube, du kannst das, kletter da hoch, versuch’s doch wenigstens!“ Das hat die eher Unsportliche ermutigt, einen Mast zu erklimmen, der zunächst unerreichbar hoch schien.

 

Es gibt Worte, die man nie vergisst. Weil sie so schön waren, weil sie so unter die Haut gingen, weil sie so weh oder so gut taten.

 

Worte sind nicht einfach Schall und Rauch. Worte können einen Moment prägen oder auch ein Leben lang nachgehen, sie bringen ins Nachdenken, tun wohl, irritieren, lassen Manches in neuem Licht erscheinen, …

 

Das Losungswort für das neue Jahr 2018 lautet: Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. (Offenbarung Kapitel 21, Vers 6)

 

Die Losungen sind aus der Bibel ausgeloste Worte. Sie sind Impulse für jeden Tag, jede Woche, jeden Monat und natürlich jedes neue Jahr, zu finden als „Herrnhuter Losungen“.

 

Über 2018 steht also das Versprechen, dass an 365 Tagen und Nächten Quellen lebendigen Wassers bereit stehen.

 

Ein Mut-Mach-Wort. Damit lässt es sich doch ganz gut starten. Und weitergehen mit dem guten Wort, dass wir immer wieder an Quellen lebendigen Wassers sein können. Vielleicht durch eine Tageslosung, vielleicht mit der Erinnerung an die Jahreslosung oder durch andere unvergesslich gute Momente und Worte.

 

Eine Freundin fällt mir ein, die einmal angesichts eines Unglücks sagte: Weißt du, manchmal denke ich, hoffentlich konnten die Menschen wenigstens noch ein „Vater unser“ sprechen.

 

Nur Worte – aber sie könnten tragen.

 

Eine Kollegin (Martina Rogler, nachzulesen  in: Weitergehen 2017) erzählt aus der Zeit der ostjüdischen „Stetl“, dass vor dem Warschauer Bahnhof Droschkenkutscher in langen Tagen auf Fahrgäste warteten. Hartes Brot in der armen Stadt, nennt sie diese Arbeit. Einer der Kutscher schleiche sich immer wieder mal hin zu einem der anderen, die da müde und frierend gelangweilt auf ihren Kutschböcken sitzen, rüttelt behutsam an der zerschlissenen Decke auf dessen Knien und flüstert flehentlich: „Sag mehr a Stickl Thora!“ – Sag mir ein Stückchen aus unserer Heiligen Schrift.

 

Und sie träumt weiter: Supermarktkasse, 18.30 Uhr. Draußen gefrierender Nieselregen. Endlose Schlange, wieder zahlen alle ihre fünf  Tomaten mit Karte, damit es möglichst lang dauert. Hektik, denn das Auto ist riskant geparkt, daheim warten alle, so viel nicht erledigt heute. Grau frisst sich in die Seele. Da flüstert jemand hinter mir: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln… und dir auch nicht!“ Oder summt ganz leise: „Gott will im Dunkeln wohnen…“

 

Gestillte Sehnsucht nach einem guten Wort in kalter Zeit.

 

Viele Worte werden uns weiter begegnen. Gute Worte, aber sicher leider auch wieder die, die verletzen, verurteilen, hasserfüllt sind. Um so wichtiger, dass es Quellen für andere Worte gibt. Es gibt einen Durst nach Worten, die wärmen und aus denen Leben sprudelt. Wir brauchen sie lebenswichtig. Jede und jeder, aber auch unsere ganze Gesellschaft.

 

Wir haben jetzt alle die Tür zum Neuen Jahr geöffnet. Ob es eisig hereinweht oder angenehm, hängt auch von den Worten ab, die wir machen. Bei Worten, die gespeist werden aus Quellen lebendigen Wassers, wird es eine Freude und ein Segen sein, sie zu sagen und zu hören.

 

 

 

Regine Jünger, Pfarrerin in der Kirchengemeinde Schwickartshausen

 



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