Von Martin Schindel
Kirchliche Gedanken zum Tag der Arbeit? Ich vermute, für einige von Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, sind diese Zeilen eine eher unerwartete Lektüre. Der Maifeiertag – sofern man sich seiner politischen Bedeutung überhaupt noch bewusst ist – wird im Wesentlichen von den Gewerkschaften begangen. Historisch hatte dieser Tag zu tun mit dem Kampf um den Acht-Stunden-Arbeitstag, später dem Eintreten für die Fünf-Tage-Arbeitswoche. Und natürlich geht es auch in diesem Jahr um Fragen des Einkommens, des Urlaubsanspruchs, der Arbeitsverdichtung.
Was haben solche Fragen mit Kirche zu tun? Meiner Ansicht nach sehr viel – wenn man ein wenig genauer nachdenkt. Auf Initiative des Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR einigten sich die Kirchen der Ökumene 1983 bei der Vollversammlung des Weltkirchenrates in Vancouver (Kanada) auf drei zentrale Arbeits- und Gebetsthemen, die überall auf der Welt kirchliches Denken und Handeln bestimmen sollen: Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung.
Dass diese drei Bereiche – jeder für sich, aber auch in Kombination – sehr viel zu tun haben mit der Arbeitswelt, der Wirtschaft, der organisierten Interessenvertretung: Das dürfte einleuchten. Natürlich ist Gerechtigkeit eine zentrale Frage in der Arbeitswelt! Denken Sie nur an die Fragen gerechter Bezahlung, die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit, und – über die klassischen gewerkschaftlichen Themenfelder hinaus – die Frage nach der gesellschaftlichen Verteilung von Arbeit, von Lebensmöglichkeiten.
Natürlich muss in der Wirtschaft die Frage nach Friedenspolitik gestellt werden – zuletzt wurde am Beispiel der Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien sehr deutlich, dass wir einerseits eine Verantwortung dafür tragen, dass der bestialische Krieg im Yemen nicht weiter geführt werden kann. Und andererseits dürfen wir nicht vergessen, dass viele tausend Menschen auch in der Rüstungsindustrie arbeiten. Diese von heute auf morgen in die Arbeitslosigkeit zu schicken wäre sicherlich auch kein guter Plan.
Und weiterhin hängt natürlich die Frage der Bewahrung der Schöpfung auf das Engste zusammen mit der Wirtschaft und der dort geleisteten Arbeit: Soll unser auf Expansion und Ressourcenvernichtung angelegtes Wirtschaften so weiter gehen? Oder wird endlich ein ziemlich radikales Umschwenken erfolgen hin zu Nachhaltigkeit, zur Schonung von Rohstoffen und Naturlandschaften, zur Abmilderung des Klimawandels?
Leider gibt es nur in sehr wenigen Kirchengemeinden einen Gottesdienst zum Tag der Arbeit; und auch die Kontakte zu Gewerkschaften sind nicht sehr ausgeprägt. Wobei das Fremdeln sicherlich beidseitig ist … Dabei wäre eine solche Koalition meines Erachtens dringend nötig: Dass wir gemeinsam, aus christlichen oder aus anderen Motiven, eintreten können für Gerechtigkeit hier und weltweit; für Friedenspolitik, die diesen Namen verdient; und für die Bewahrung unserer Lebensgrundlagen.
Siehe, Gottes Reich ist mitten unter Euch! (Lk 17, 21) – diese Verheißung Jesu wird gelästert, wenn sie allein auf die spirituelle Welt bezogen wird. Sie gehört mitten ins Leben!
Martin Schindel, Pfarrer in Ortenberg, Usenborn und Bergheim
Evangelisches Dekanat Büdinger Land | Bahnhofstraße 26 | 63667 Nidda
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Hintergrundbilder:
Vögel im Winter: © Hilke Wiegers / fundus-medien.de
Winterweg: © Stephan Krebs / fundus-medien.de
Rote Winteräpfel: © Hans Genthe / fundus-medien.de
Fußspuren im Schnee: © Rolf Oeser / fundus-medien.de