REFORMATION: Vanessa Feilen und Andreas Schuss widmen sich auch der dunklen Seite des Reformators
(ALTENSTADT/hp) - „Alles was Sie in den klassischen Programmen über Luther geboten kommen, ist nicht Thema dieses Abends. Das haben Sie genug gehört. Wir wollen uns dem Privatleben der Luthers widmen.“ Die Begrüßung von Andreas Schuss klingt vielversprechend, ebenso der musikalische Auftakt mit dem Lied „Wie lieblich ist der Maien“. Schuss und seine Frau Vanessa Feilen waren mit ihrem Programm „Martin und die Lutherin“ in der evangelischen St.-Nikolai-Kirche in Altenstadt zu Gast und boten dort eine neue Perspektive Luthers.
Das Instrumentalduo „Wind-Wood und Co“ beweist an Saxofon, Sopran-Saxofon, Kontrabass, Klavier und auf der Panflöte sein Können, wobei Schuss Klavier und Panflöte meist zeitgleich spielt. Sie drehen die Zeit um 500 Jahre zurück und lassen ihre Publikum – leider fanden nur 15 Besucher den Weg in die Kirche – den Alltag der Luthers aus einem anderen Blickwinkel erleben. Vom Kennenlernen bis zu Luthers Tod stellt Schuss das durchaus spannungsgeladene Verhältnis zu Katharina von Bora vor, beschreibt die beiden starken Persönlichkeiten äußerst humorvoll und in teilweise launiger Wortwahl, erwähnt zuletzt auch Luthers eher dunkle Seiten.
Die Auswahl an Musikstücken ist abwechslungsreich mit der „Feste Burg“ als bayrischer Zwiefacher, Clarks Trompentensuite „The Prince of Denmark’s march“, dem Liebeslied „Wach auf mein Herz, du Liebste“, „Amazing grace“ oder einem Klezmer-Medley in eigenen Interpretationen. Die Geschichte selbst beginnt mit Katharina von Boras heimlicher Lektüre von Luthers Schriften als Nonne in einem Frauenkloster bei Torgau. Dass die Ehe von Gott gewollt sei und sogar Spaß mache habe bei ihr „wohl einen Hormonschub ausgelöst“, so Schuss. Sie schreibt einen Brief an Luther. Den Inhalt fasst Schuss zusammen: „Dr. Luther, wir haben keinen Bock mehr auf Kloster. Wir wollen raus.“ Luther plant daraufhin eine „hollywoodreife Entführung“ und die Frauen werden bei angesehenen Wittenberger Bürgern untergebracht. Katharina, die bei Lukas Cranach wohnt und dort wegen ihrer guten Ausbildung zur „Queen des Smalltalks“ wird, will Luther unbedingt heiraten, der sein Leben als Junggeselle nicht so gerne aufgeben will. Doch die willensstarke Frau setzt sich durch und Luther findet immer mehr Gefallen an ihr, erzählt Schuss. Er überlässt ihr sogar die Geldgeschäfte, was sich wirtschaftlich für ihn auszahlt. Doch nicht alles „war eitel Sonnenschein“, berichtet Schuss weiter. Wegen vieler körperlicher Leiden wird Luther nur 62 Jahre alt. Auch psychisch ist er angeschlagen, wie der Bonner Psychiater Manfred Lütz später bei Recherchen zu Luther feststellte, war er manisch depressiv. Sogar unter Verfolgungswahn litt er, was aber angesichts seiner vielen Feinde nachvollziehbar war. Die Calvinisten, die Katholiken, die Habsburger und Wittelsbacher Fürsten hatte Luther gegen sich, und die Bauern, die ihn für einen Fürstenknecht hielten. Mit Erasmus von Rotterdam kreuzte er vor allem rhetorisch die Klingen. Zudem litt Luther stark unter dem Tod seiner Tochter Lenchen, die mit elf Jahren an einem Fieber starb. Angesichts seiner angeschlagenen Psyche neigte Luther zu cholerischen Anfängen, die auch seine Frau zu spüren bekam. „Sollte ich nochmal freien, dann ein Weib aus Stein“, soll er gesagt, sich dann aber reumütig entschuldigt haben.
Grundsätzlich wird von Luther je nach philosophischer und religiöser Ausrichtung ein sehr differenziertes Bild gezeichnet, hebt Schuss hervor. Ein Traktat Luthers über die Juden und deren Lügen sei ein „grauenhaftes Werk. Was hat ihn da bloß geritten, als er das verzapft hat?“, fragt Schuss. Zu dieser Zeit war das offenbar normal. Eigentlich, erklärt Schuss, wurden Juden bereits im Mittelalter von Katholiken verunglimpft. Dennoch, dass Luther von Bücher verbrennen und Kirchen vernichten schrieb, ist Schuss den Kommentar wert: „Da hat er Bockmist geschrieben.“ Luther überblickte erst vor seinem Tod, was er da angerichtet habe.