GOTTESDIENST: Dekan Volkhard Guth predigt in Florstadt im Dialog mit Bürgermeister Herbert Unger / Deutliche Kritik an Wirtschaft
(FLORSTADT/pm) - War Luther ein Wegbereiter des Kapitalismus? Eine Frage, die sich durchaus von verschiedenen Seiten beleuchten lässt. Anlässlich des Reformationsjubiläums ließ sich der Florstädter Bürgermeister Herbert Unger von Dekan Volkhard Guth zu einer Dialogpredigt einladen. Ein komplexes Thema hatten sich der sozialdemokratische Politiker und der evangelische Theologe für ihren Austausch auf der Kanzel ausgesucht. „Hätte ich vorher gewusst, wie viel Zeit ich in die Vorbereitung investieren muss, hätte ich nicht so schnell zugesagt“, schmunzelte Unger. Die Freude darüber, einmal in „seiner Florstädter Kirche“ auf der Kanzel zu stehen, war dem Bürgermeister dennoch anzumerken. Bereits im Religionsunterricht habe er Diskussionen über das Thema Sozialismus und Religion geführt, verriet er. Unger, der sich als „bekennender Sozialdemokrat und Christ“ beschreibt, sieht Grundwerte wie Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität im christlichen Weltbild verankert.
Das konnte Guth bestätigen. Jesus sei in seiner Verurteilung der Habgier sehr klar gewesen, erklärte er. „Entweder kann man Gott lieben oder das Geld.“ Auch Luther habe zu wirtschaftlichen Fragen Stellung bezogen, und der Tenor seiner Predigten sei alles andere als kapitalismusfreundlich gewesen. Anders als Calvin habe Luther den Reichtum nicht als Zeichen besonderen göttlichen Segens interpretiert. Die Hingabe an das Geld war für Luther eine noch schlimmere Sünde als Diebstahl und Mord, sagte Guth. Luther habe die Profitmacherei der Fugger verurteilt und die Bereicherungssucht der Fürsten und Könige angeprangert.
Guths Interpretation von Luthers Wirtschaftsethik mochte der Bürgermeister nicht so stehenlassen. Er habe sich auf die Seite der Obrigkeit geschlagen. Der Wittenberger Reformator habe mit seiner Familie nach einem gewissen Wohlstand gestrebt und sich nie gegen den Besitz als solchen ausgesprochen.
Der moderne Kapitalismus habe sehr viel Macht über die Gesellschaft, kritisierte Guth. Eine entgrenzte Marktwirtschaft habe nicht das Wohl der Menschen, sondern das Wohl des Marktes im Blick. Der Hunger in der Welt, die Umweltzerstörung und die Energiekrise seien eine direkte Folge der Krise des Kapitalismus. Der Sozialdemokrat Unger stimmte zu. In börsennotierten Unternehmen sei von einer Verantwortung für das Gemeinwohl nicht mehr viel zu erkennen. „Einzig und allein die Gewinnmaximierung prägt in der heutigen Zeit das Denken“, brachte Unger seine Kritik an der Wirtschaft deutlich zum Ausdruck. Damit habe sich der Kapitalismus von den Grundwerten des christlichen Glaubens entfernt. Hier solle die evangelische Kirche deutlich Stellung beziehen, forderte der Politiker. Diese Forderung nahm Guth auf. Die Kirchen seien verpflichtet, auf eine praktische Weise für eine bessere Welt zu sorgen. Aus den Lehren von Jesus und Luther könne man Mitgefühl als Prinzip für politisches Handeln ableiten. Es gelte, sich für die Schwachen einzusetzen und eine Ökonomie zu entwickeln, die solidarisch und kooperativ ist. Der Kapitalismus brauche ein soziales Regulativ, stimmte Unger zu. Eine freie und soziale Marktwirtschaft sei durchaus im Einklang mit christlichen Werten. Dazu gehöre, über Steuern und gerechte Löhne das Gemeinwohl im Blick zu haben. Sehr einvernehmlich beendeten der Dekan und der Bürgermeister ihre Predigt. Gemeinsam erinnerten sie daran, dass die Wirtschaft im Dienste des Menschen stehen solle.
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