Vom Walzwerk der Front - Nachdenkliches zum Krieg in Büdingen

Quelle: Kreis-Anzeiger – 21.11.2018

 

 

 

Von Monika Eichenauer

 

 

Nachdenklich stimmende Texte und Musik erinnerten in der Büdinger Remigiuskirche an die Grauen des Ersten Weltkriegs. Eingeladen hatte die evangelische Kirchengemeinde.

 

 

(BÜDINGEN/ka)  - An das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren, am 11. November 1918, erinnerten in der Remigiuskirche am Vorabend des Volkstrauertags Pfarrer Thorsten Backwinkel-Pohl aus Lautertal mit Lesungen und das Duo Janneck aus Lauterbach mit passender Musik. Gabriele Janneck spielte Laute, Martin Janneck Gitarre. Begrüßt hatte die Zuhörer Büdingens Pfarrer Andreas Weik. Das Trio aus dem nordöstlichen Vogelsberg war auf Einladung der evangelischen Kirchengemeinde gekommen.

 

Gewünscht hätte man den nachdenklich stimmenden Texten und der Musik allerdings mehr Zuhörer, denn es waren erschreckend wenige, obwohl, wie Andreas Weik es zu Begrüßung formulierte, "wir das letzte Jahrhundert nur verstehen können aufgrund des Ersten Weltkriegs, seines Endes und seiner Folgen". Nur wenige Hundert Meter entfernt von der Remigiuskirche hatte an diesem Tag die NPD ihren Bundesparteitag abgehalten, begleitet von einer friedlichen Gegenveranstaltung.

 

Es war eine Stunde zum Innehalten. Wie Pfarrer Thorsten Backwinkel-Pohl erinnerte, "sind 17 Millionen Menschen in vier Jahren Krieg gefallen, zerschossen, zerbombt, zerfetzt, zermalmt, ermordet". Der Krieg begann am 28. Juli 1914 und ist in Europa, im Nahen Osten, in Afrika, Ostasien und auf den Ozeanen geführt worden. Der Pfarrer trug aus den Aufzeichnungen deutscher Schriftsteller vor, darunter Carl Zuckmayers "Als wär's ein Stück von mir", Ernst Jüngers "Stahlgewitter" und Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues". Zu Beginn des Weltkriegs waren die jungen Männer noch gerne Soldat geworden, wie Zuckmayer beschreibt. ",Morgen muss ich einrücken' hatte etwas von einem heiteren Stolz, einer frohen Zuversicht, als ginge es zu einem Schützenfest oder einer Hochzeitsfeier". Ernst Jünger schreibt in "Stahlgewitter" von Granaten, umherfliegenden Schrappnells, von "blutüberströmten Gestalten", dem "Walzwerk der Front". Dort steht: "Wir ahnten, dass fast alle von uns davon verschlungen werden sollten."

 

Der Lautertaler Pfarrer hatte weitere Texte herausgesucht, in denen von der Maschinerie des Tötens mit Schnellfeuergewehren, von "gespaltenen Gesichtern" und "Bajonetten im Rücken taumelnder Soldaten" berichtet wird. Von unzähligen Toten in den Schützengräben und wenn in der ersten Morgendämmerung die Raben und Ratten kommen, an den toten Männern fressen, "zuerst die weiche Stelle zwischen Nase und Mund, dann die Lippen". Zum Schluss trug der Pfarrer das Gedicht "Grodek" von Georg Trakl vor. Trakl, auch er Soldat, verarbeitet darin nur wenige Tage vor seinem Tod seine bitteren Kriegserfahrungen: "Alle Straßen münden in schwarze Verwesung... Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz."

 

Als letzte Musik erklang "Sag mir, wo die Blumen sind", deren Textzeilen "Wann wird man je verstehen?" der Pfarrer zuvor zitiert hatte. Nach der Musik folgte eine lange Stille in dem über ein Jahrtausend alten Gotteshaus. Die Zuhörer hingen ihren Gedanken nach. Pfarrer Weik dankte den Vortragenden und konnte nur noch seiner Ergriffenheit Ausdruck geben.