Von Susanne Kleinmann
(BÜDINGEN/sk) - In diesem Jahr feiert die evangelische Kirche 500 Jahre Reformation. Das Jubiläum wird vielerorts mit ganz unterschiedlichen Veranstaltungen gefeiert. Auch in Büdingen wird das Lutherjahr gewürdigt. Angefangen mit der Vertonung von Lutherliedern, vorgetragen von dem renommierten Calmus-Ensemble, bis hin zu einer Ausstellung in der Marienkirche, die Luther von einer ganz anderen Seite gezeigt hat. Als Judenhasser, auf dessen Schriften sich später die Nationalsozialisten berufen haben. Eine Seite, die so gar nicht zu dem allgemeingültigen Bild von dem großen Reformator passen möchte. Der Kreis-Anzeiger hat sich mit der evangelischen Pfarrerin Ina Johanne Petermann über Luthers dunkle Seiten unterhalten.
Im Mai zeigte die evangelische Kirche eine Ausstellung zum Thema „Luther und die Juden“. Viele Menschen waren von Luthers Judenbild schockiert, hatten sie doch von dieser Seite des Reformators noch nichts gehört. Wie kommt es, dass die Menschen diese Seite Luthers gar nicht kennen?
Ich war überrascht über die große Betroffenheit der Ausstellungsbesucher. Luther ist bisher bekannt als der große Reformator und Begründer der evangelischen Christenheit. Natürlich verbindet sich damit ein ideales Bild des Menschen Martin Luther. Von einigen wird er fast wie ein Heiliger betrachtet. Es ist schwer vorstellbar, dass ein Mann, der so wichtig ist für den Glauben der Menschen, auch Dinge verbreitet hat, die damit im Widerspruch stehen.
Woher kam dieser Hass auf die Juden bei Luther?
Luther war zunächst daran interessiert, die Juden für den evangelischen Glauben zu gewinnen. Er ging davon aus, dass die Juden sich begeistert seinen Gedanken anschließen würden. Es gab durchaus von jüdischer Seite auch ein Interesse an Luthers freiheitlichem Gedankengut. Seine Ideen klangen nach Emanzipation, nach Toleranz und Offenheit. Doch hier lag ein gegenseitiges Missverständnis vor. Luther wollte die Juden für Christus gewinnen. Die Juden hielten Luther jedoch für einen Anwalt ihres Anliegens, in der Gesellschaft mehr Anerkennung zu bekommen und gleichberechtigt leben zu können. Sie dachten, Luther sei ein Humanist, dem es im weiteren Sinne um Menschenrechte gehe. Eine Schrift Luthers von 1523 hat diese Hoffnung noch genährt. In dieser Schrift besagt Luther schon im Titel, „dass unser Herr Jesus ein geborener Jude sei“. Luthers Vorstellung war, wenn die Bibel erst einmal verständlich übersetzt ist, würden die Juden sich davon überzeugen lassen, Christus als ihren Messias anzuerkennen.
Wer war oder ist Jesus denn für die Juden?
Ein Prophet, ein Bruder, ein Mensch, der Gutes tut, ein Wunderrabiner, der heilt und hilft. Der Mensch Jesus ist auch unter den Juden anerkannt. Aber nicht als der verheißende Messias. Denn nach jüdischer Vorstellung wird die Welt sich verändern, wenn der Messias erst einmal kommt, das ist durch Jesus nicht passiert. Jesus hat den Menschen eine spirituelle Vorstellung vom Reich Gottes vermittelt. Die Juden lehnen die Vorstellung der Dreifaltigkeit Gottes ab, Gott ist nur einer. Hier ließ sich der jüdische Glaube nicht mit dem Christentum vereinbaren.
Luthers Haltung den Juden und überhaupt Andersgläubigen gegenüber hat sich im Laufe seines Lebens verschärft. Welche Erklärung haben Sie dafür?
Viele Jahre hat Luther sich zu der Judenfrage nur am Rande geäußert. Doch seine Enttäuschung darüber, dass er die Juden nicht für das Christentum gewinnen konnte, nahm zu. Dann kam bei Luther eine private seelische Krise, als seine Tochter Magdalena starb. Das führte dazu, dass sein Ton schärfer wurde. 1543 erschien die Schrift von den Juden und ihren Lügen, in der Luther weit über die damals übliche Feindschaft Juden gegenüber hinausging.
War dieser Hass auf die jüdische Bevölkerung im 16. Jahrhundert nicht allgemein sehr ausgeprägt und Luther einfach nur Kind seiner Zeit? Oder ist diese Erklärung zu einfach?
Diese Erklärung ist zu einfach, denn bei Luther war der theologische und christologische Aspekt entscheidend dafür, dass er die Juden so verdammte. Er ging mit seinem Hass auf die Juden weit über das hinaus, was im 16. Jahrhundert sonst zu erleben war. Interessanterweise wurde auf oben genannte Schrift in der Nachwirkung kaum Bezug genommen, weil man kein Interesse daran hatte, sich mit den Juden anzulegen und weil man sich auch ein Stück weit schämte. Der Tenor dieser Schrift ging einfach zu weit. Der Maßlosigkeit Luthers wollte keiner folgen. Das taten erst wieder die Nationalsozialisten.
Sprechen wir über Luthers andere Seite. Er hat die Kirche reformiert, die Bibel übersetzt, wollte die Kirche auf einen neuen Weg führen, was letztlich zur Kirchenspaltung geführt hat. Was ist für Sie besonders wichtig, wenn Sie an Luther denken?
Er war ein ganz und gar spiritueller und kein politischer Mensch. Sein eigentliches Anliegen war ein Geistiges. Er war als junger Mann gar nicht so interessiert an dem, was in der Weltgeschichte passierte. Vielmehr interessierte ihn sein Glaube und die Frage, wie der Mensch tatsächlich zu einer positiven Gottesbeziehung gelangen und den Glauben als etwas Befreiendes empfinden kann. Diese befreiende Botschaft des Glaubens finde ich bewundernswert. Luther hat in seiner Zeit das Individuum zum Subjekt des Glaubens gemacht und hat den Einzelnen in eine Gottesbeziehung gebracht. Damit hat sich bei ihm auch ein seelsorgerisches Anliegen verbunden. Er hat sich den Menschen zugewandt und seine Theologie mit Seelsorge verbunden. Und natürlich beeindruckt mich seine Sprachgewalt, seine großartige Übersetzung der Bibel, die es uns leicht macht, sich Texte einzuprägen.