BÜDINGER TAFEL: Im zehnten Jahr ihres Bestehens versorgt Einrichtung 1200 bis 1400 Menschen im Monat mit Lebensmitteln

100 Prozent – aus Überzeugung

 

(BÜDINGEN/ka) - Viele Jubiläen sind ein Grund zum Feiern: runde Geburtstage, Jahrfeiern von Ortsgründungen, langjährige Betriebszugehörigkeiten, Firmenjubiläen zum Beispiel. Andere Jahrestage sind ambivalent. Zu diesen gehört das zehnjährige Bestehen der Büdinger Tafel in diesem Jahr. Ziel und Zweck der Einrichtung lässt sich auf folgendes Motto verdichten: Lebensmittel an Menschen mit geringem Einkommen verteilen statt hinnehmen, dass diese Lebensmittel vernichtet werden. Auf der einen Seite lebt die Initiative von der hohen Motivation der Helfer sowie von der Unterstützung und dem Wohlwollen der Büdinger und hiesiger Unternehmen. Freiwillige retten durch ehrenamtliches Engagement Lebensmittel und unterstützen gemeinsam Bedürftige. Die andere Seite bringt Heinz-Walter Konrad, eines der Gründungsmitglieder der Büdinger Tafel, auf den Punkt: „Ich empfinde nicht nur Freude über unser zehnjähriges Bestehen. Das Ziel sollte sein, dass so etwas wie die Tafel nicht gebraucht wird, in einem Land so reich wie dem unseren.“

 

 

Aber der Reihe nach. Im Jahr 2006 war im Diakonie-Ausschuss des evangelischen Dekanats die Idee entstanden, in Büdingen eine Tafel ins Leben zu rufen, eine Einrichtung, wie es sie so oder ähnlich bereits in mehreren Hundert Kommunen in Deutschland gab. Zu den Gründungsmitgliedern gehören neben Dekanin Sabine Bertram-Schäfer und der damaligen Vorsitzenden des Vorstands der evangelischen Kirchengemeinde, Monika Konrad, auch deren Ehemann Heinz-Walter Konrad, Peter Zimmerling, das Ehepaar Irmgard und Manfred Huth, der zu dieser Zeit Vorsitzender des Vorstandes der katholischen Kirchengemeinde in Büdingen war, sowie für einen kurzen Zeitraum Christiane Buche-Thomas. Diese Gruppe und einige Helfer waren es auch, die die notwendigen Vorarbeiten leisteten, planten und Lebensmittelmärkte in der Region ansprachen. Damals wie heute ist die Einrichtung in Trägerschaft des evangelischen Dekanats Büdinger Land, bis Ende 2015 Dekanat Büdingen. „Wir haben eine christliche Ausrichtung“, betont Monika Konrad deshalb auch.

 

Im September 2006 fand in der Willi-Zinnkann-Halle die erste Informationsveranstaltung statt. Die Ziele: die Tafel-Idee bekannt machen, die Öffentlichkeit informieren und nicht zuletzt: freiwillige Helfer und Sponsoren finden. „Die Veranstaltung war sehr gut besucht und die Resonanz überwältigend“, sagt Monika Konrad, „wir hatten ja nichts außer einer guten Idee. Aber wir sind mit Gottvertrauen in die Sache gegangen“.

 

 

„Wir haben viel Unterstützung bekommen von Unternehmen und Privatleuten“, ergänzt ihr Mann. „Die Tafel erhielt viele Spenden. Etwa zwei Autos, eine Kücheneinrichtung und die Räume. Ohne einen einzigen Euro dafür zu zahlen.“ Da habe zum Beispiel einer mitbekommen, dass in der Berufsschule die Lehrküche abgebaut wurde. Diese Küche habe die Tafel bekommen. „Ein anderer hat gelesen, dass wir kein Auto haben und uns seinen kaum gefahrenen Garagenwagen gespendet“, sagt Monika Konrad. Die Ovag habe Räume in der Berliner Straße zur Verfügung gestellt. „Mietfrei!“, freut sich Konrad noch im Nachhinein. Den Kontakt zur Ovag habe Bürgermeister Erich Spamer hergestellt. „Dafür bin ich ihm noch heute dankbar.“

 

 

Ende Januar 2007 ging es im Tafelladen richtig los. Mit zwei Ausgabetagen in der Woche: dienstags und donnerstags. Jeder angemeldete und somit berechtigte Kunde hat das Recht, im Zwei-Wochen-Rhythmus in der Tafel Lebensmittel einzukaufen. Dafür zahlt er einen symbolischer Betrag: Erwachsene 1,50 Euro, Jugendliche über 16 Jahren 50 Cent. „Uns ist es wichtig, die Menschen, die zu uns kommen, nicht als Bittsteller zu sehen, sondern als Kunden. Sie bekommen Lebensmittel und zahlen dafür“, sagt Kornelia Lange, die sich seit Dezember 2006 in der Büdinger Initiative engagiert und seit einigen Jahren Vorsitzende des Tafelausschusses ist. „Wenn jemand am Monatsende nicht einmal diese paar Münzen aufbringen kann, wird der Betrag notiert und kann im darauffolgenden Monat ausgeglichen werden.“

 

 

100 Helfer hatten sich 2007 zum Start der Tafel gefunden; alle bereit anzupacken und die Initiative aktiv zu unterstützen. Heißt: Lebensmittel mit dem Auto in den Lebensmittelläden der Region abholen, sortieren, gerecht verteilen und in dafür vorgesehenen Körben an Kunden ausgeben.

 

 

„Vor allem Rentner trauten sich in der Anfangszeit nicht, die Räume in der Berliner Straße durch den Vordereingang zu betreten“, sagt Monika Konrad nun. Für viele Kunden sei es schwer, das Angebot der Tafel anzunehmen, ja annehmen zu müssen, weil sie in Not geraten sind. Dem setzen Kornelia Lange und ihre Mitstreiter Freundlichkeit, Höflichkeit und Respekt entgegen. Genau wie Monika Konrad und deren Mann bedauert sie, dass die Zahl der Menschen, die im Tafelladen einkaufen, seit Gründung der Einrichtung nicht gesunken ist, sondern sich vervielfacht hat. „Am Anfang hatten wir 20 Kunden pro Ausgabetag, also 80 Kunden im Monat“, erinnert sich Truus Heldens-Kiel, die sich seit Ende 2006 für die Tafel engagiert. Heute sind es nach den Worten von Kornelia Lange 1200 bis 1400 Kunden monatlich.

 

 

Ob es denn Menschen gibt, die seit 2007 durchgehend die Hilfe der Tafel benötigen, wollen wir wissen. „Ganz wenige“, antworten die Helfer. Heinz-Walter Konrad konkretisiert: „In der Regel scheiden die Kunden nach einer gewissen Zeit aus, weil sie Arbeit finden oder andere Einkünfte beziehen. Wir gratulieren jedem von ihnen und freuen uns mit jedem, der unsere Einrichtung nicht mehr braucht.“

 

 

„Während vor zehn Jahren viele Russlanddeutsche zu den Kunden gehört hätten, kommen heute viele Syrer und Afghanen“, sagt Kornelia Lange. Weitgehend gleich geblieben ist die Helferschar. Es sind noch immer etwa 100 Freiwillige. Manche helfen nur einmal im Monat, andere häufig. Sie sind es, die die Tafel und deren Anliegen tragen und deren Arbeit den Fortbestand der Einrichtung sicherstellen.

 

 

Doch wie viele ehrenamtliche Initiativen und Vereine klagt auch die Büdinger Tafel über mangelnden Nachwuchs. „Diejenigen, die vor zehn Jahren als Helfer angefangen haben, sind jetzt eben auch zehn Jahre älter. Wenn Sie bedenken, dass einige damals gerade in Rente gingen, können Sie sich ausrechnen, dass sie nun gerne ein bisschen kürzer treten. Es wäre gut, wenn wir Älteren von Jüngeren entlastet würden“, sagt Kornelia Lange.

 

 

Wenn man bedenkt, dass die Büdinger Tafel sich von einer Idee mit Gottvertrauen zu einer Einrichtung entwickelt hat, die einem mittelständischen Unternehmen gleicht, muss man ihr uneingeschränkt zustimmen.

 

 

 

Hintergrund

 

Im Jahr 1993 entstand die erste Tafel in Berlin. Sie war als Hilfe für Obdachlose gedacht. Zwei Jahre darauf wurde der „Dachverband Deutsche Tafelrunde“ gegründet, der im Jahr darauf in „Bundesverband Deutsche Tafel e.V.“ und im Juni 2017 in „Tafel Deutschland e.V.“ umbenannt wurde. Inzwischen gibt es bundesweit mehr 931 Tafeln. Ihr Motto: „Verteilen statt vernichten“. Weit mehr als die Hälfte sind in der Trägerschaft gemeinnütziger Organisationen, die anderen sind eingetragene Vereine. Die Büdinger Tafel ist Mitglied des Landes- und Bundesverbandes der Tafeln. Lebensmittel, die andernfalls in der Mülltonne landen würden, werden kostenfrei oder – wie in Büdingen – gegen einen kleinen Geldbetrag an Bedürftige verteilt. Vor allem Arbeitslose, Geringverdiener, Hartz IV-Empfänger, bedürftige Rentner, alleinerziehende Mütter und Flüchtlinge werden mit Lebensmitteln unterstützt. Bundesweit etwa 1,5 Millionen Menschen. Ein knappes Viertel von ihnen sind Kinder, ein weiteres Viertel Rentner, etwas mehr als die Hälfte erwerbsfähige Erwachsene.