Mit Wolfgang Keller geht der dienstälteste Dekan der Evangelischen Landeskirche in Hessen und Nassau in den Ruhestand

Eine Ära endet

Foto: Gert Holle
Foto: Gert Holle

1.07.2022

 

(Region/ Nidda/gho) - Gerade einmal sieben Jahre hatte Pfarrer Wolfgang Keller seinen Gemeindedienst in Rudingshain versehen, als er 1992 im Alter von 36 Jahren zum Dekan im damaligen Dekanat Schotten gewählt wurde. Seitdem war er ununterbrochen mit Leitungsaufgaben betraut. „Große Spielräume gab es damals für einen Dekan nicht. Da passten die Ordner des Dekanats quasi in einen Aktenkoffer“, erinnerte sich Keller oft und gerne, wenn in Diskussionen um neue Strukturen vergangene Zeiten zur Sprache kamen. Mit der Stärkung der kirchlichen Regionalstruktur ab dem Jahr 2000 hat sich das Amt jedoch verändert. So kamen für Keller als Dekan neue Aufgaben hinzu, weitere Mitarbeiter sollten begleitet und geführt werden. Dabei hat er es stets mit seiner ruhigen und sachlichen Art verstanden, die Menschen in den Gemeinden und im Dekanat zu ermutigen, angesichts des demografischen Wandels und von Einsparungsprozessen neue Wege der Zusammenarbeit zu gehen. Bis zuletzt war er mit den Plänen zu „ekhn 2030“befasst, mit denen die Landeskirche in Hessen und Nassau die Zusammenarbeit von Kirchengemeinden in so genannten Nachbarschaftsräumen fördern will.

Wolfgang Keller - 2016. Foto: Gert Holle
Wolfgang Keller - 2016. Foto: Gert Holle

Dekan mit Standfestigkeit

Wolfgang Keller, der nach einem Vikariat in den Laubacher Gemeinden Wetterfeld und Röthges 1985 seine erste Pfarrstelle in der neu zusammengefassten Kirchengemeinde Rudingshain, Betzenrod und Götzen antrat und in Schotten mit seiner Familie eine neue Heimat fand, konnte sich stets auf seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Dekanatsbüro und auf seine Kolleginnen und Kollegen im Pfarrdienst verlassen. Die Zusammenarbeit wurde von großer gegenseitiger Wertschätzung getragen. Am Sonntag, den 3. Juli, wird Wolfgang Keller im Rahmen eines Festgottesdienstes in der Stadtkirche Nidda von Propst Matthias Schmidt nach 30 Jahren im Dekaneamt von seinen Aufgaben entpflichtet und in den Ruhestand verabschiedet. Weggefährten, ehemalige Kolleginnen und Kollegen, ehren- und hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Kirchengemeinden und dem Dekanat werden ein letztes Mal Dekan Wolfgang Keller bei seiner Predigt folgen, in der er gewiss auch Bezug auf die Arbeit des evangelischen Theologen und Arztes Albert Schweitzer nehmen wird, dessen Wirken ihn in seiner Studienzeit nachhaltig beeindruckt hatte.

 

Ein ihn ansprechender Religionsunterricht in der gymnasialen Oberstufe hatte einst Kellers Interesse an wissenschaftlicher Theologie und den Berufswunsch geweckt, als Pfarrer in der evangelischen Kirche zu arbeiten. Doch schon während seines Studiums in Marburg zog es ihn darüber hinaus hin zu sozialethischen Fragestellungen. Professoren und Menschen mit ihrer diakonisch-pragmatischen Orientierung prägten ihn. Seine Examensarbeit schrieb er über Albert Schweitzer, der 1913 zusammen mit seiner Frau Helene in Lambaréné (in Gabun) ein Spital für die unter zahlreichen Krankheiten leidende afrikanische Bevölkerung gegründet hatte. Das Spezialvikariat absolvierte Keller im Jugendgefängnis in Rockenberg. In einer Rückschau meinte Keller einmal auf die Frage, ob dies ein Praxisschock für ihn gewesen sei: „Nicht nach dem Grundwehrdienst in der Bundeswehr. Da lernt man Standfestigkeit.“ Gut begleitet fühlte er sich dann im Pfarrvikariat in Wetterfeld und Röthges: „Die erste Beerdigung, Taufe, Trauung, das erste seelsorgerliche Gespräch, das waren beeindruckende Aufgaben für mich!“

Wolfgang Keller - 2012. Foto: Gert Holle
Wolfgang Keller - 2012. Foto: Gert Holle

Stets ein klarer und verlässlicher Ansprechpartner

Nach 20 Jahren in leitender Position im Dekanat Schotten wurde Keller, der in seiner Freizeit gerne Biografien liest, zusätzlich zu Beginn des Jahres 2012 auf Wunsch des Synodalvorstandes und von Propst Matthias Schmidt zunächst für 18 Monate kommissarischer Dekan im Dekanat Nidda. Seit seinen Anfangstagen als Dekan hatte sich bereits – gerade was die Mitarbeiterzahl anbelangt - Einiges geändert. Aus der Zusammenarbeit in der Arbeitsgemeinschaft der Dekanate Büdingen, Nidda und Schotten ab 2001, die Keller von Beginn an im Geschäftsführenden Ausschuss begleitet hatte, entstand schließlich 2016 das fusionierte Evangelische Dekanat Büdinger Land. Wolfgang Keller brachte nun im Leitungsteam als Stellvertreter von Dekanin Sabine Bertram-Schäfer seine langjährige Erfahrung ein. Nach Bertram-Schäfers Wahl zur Pröpstin in der Propstei Nord-Nassau im September 2020 kam Keller der erneuten Bitte von Propst Matthias Schmidt nach und übernahm als geschäftsführender Dekan im Zusammenspiel mit Rolf Hartmann, dem Vorsitzenden der Synode, die Dekanatsleitung für die letzten eineinhalb Jahre seines beruflichen Weges. Dabei war es ihm nach wie vor ein Herzensanliegen, für die Mitarbeiter und für die Kirchenvorstände der 76 Kirchengemeinden im Büdinger Land ein klar erkennbarer und verlässlicher Ansprechpartner zu sein. Und es gelang ihm, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und die jeweiligen Arbeitsfelder zu unterstützen. Wo Entschlüsse zu fassen waren, strebte er im Dialog mit ihnen Lösungen an. Auf diese Weise vermochte er es auch in Zeiten großer Veränderungen und der Pandemie stabile Strukturen aufrecht zu erhalten. „Wir können als Kirche im Angesicht der anstehenden Veränderungen nicht stehen bleiben“, war er überzeugt. Er begleitete in seinen rund 30 Jahren als Dekan mehrere Umstrukturierungen im Pfarrstellenbereich und war sich der Auswirkungen des demographischen Wandels sehr bewusst. Umso mehr war es ihm bei aller Arbeit an kirchlichen Rahmenbedingungen immens wichtig, dass gerade die Interessen der kleinen Kirchengemeinden in einer ländlichen Region gewahrt bleiben. „Unser Wille, Kirche nahe bei den Menschen zu sein, sollte dadurch gestärkt werden, dass wir die Zusammenarbeit der Kirchengemeinden fördern und so Kirche in unserer Region noch sichtbarer werden lassen,“ formulierte er einmal seine Vorstellungen. So sah er eine große Aufgabe darin, Haltung zu wesentlichen, die Gesellschaft betreffenden Entwicklungen zu zeigen, gegebenenfalls den Finger in die Wunde zu legen. Zu Zeiten der Arbeitsgemeinschaft beschäftigte er sich in den leitenden Gremien mit der Frage, welchen Beitrag Kirche leisten könne, damit die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter auseinander geht. „Kirche verändert sich mit den Menschen, denen sie sich verbunden fühlt, mit Mitgliedern, mit den Menschen, die sich engagieren, und mit denen, für die die Kirche mit ihren Angeboten da ist.“ Keller, der gerne beim Spaziergang mit seinem Hund entspannt, brachte seine analytische und stets kritisch-konstruktive Denkweise in die Stellungnahme des Dekanatssynodalvorstandes zum Umgang mit Rechtspopulismus ein, arbeitete am Dekanatspapier „Schöpfung bewahren“ mit und begleitete die Erstellung einer Konzeption für das Dekanat Büdinger Land. Einen besonderen Bezug hatte er während seiner gesamten Dienstzeit zur diakonischen Arbeit im Gebiet des ehemaligen Dekanats Schotten. Ab 1990 war er über 30 Jahre Vorsitzender der Zweckverbandsvertretung der Diakoniestation Hoher Vogelsberg. Auch hier arbeitete er an der fortlaufenden Anpassung der Rahmenbedingungen, die aufgrund gesetzlicher Vorgaben notwendig wurden. „Der Dienst an kranken und alten Menschen braucht eine verlässliche Struktur“. So war Keller froh, dass im Zuge der Fusion der Diakoniestationen Schotten und Grebenhain 1997 eine stabile Verwaltung aufgebaut werden konnte.

 

 

Wolfgang Keller zur "Perspektive 2025 im Jahr 2007. Foto: Gert Holle
Wolfgang Keller zur "Perspektive 2025 im Jahr 2007. Foto: Gert Holle

 

 

Fels in der Brandung

Pfarrer Wolfgang Keller wurde bis in die letzten Tage seiner Dienstzeit als Dekan nicht müde, darauf zu verweisen, wie wichtig er das ehrenamtliche Engagement in der Kirche für den Zusammenhalt der Gesellschaft hält: „Die nachlassende volkskirchliche Bindung selbst hier in der überschaubaren Welt des Vogelsbergs und der Wetterau macht mir Sorgen. Die Kirche wird nach wie vor gebraucht. Angesichts der Verödung des ländlichen Raums muss die Kirche weiter da sein und die Menschen begleiten,“ stellte er erst kürzlich zu den aktuellen Entwicklungen fest. „Wir wollen Kirche mit Zukunft sein!“ Viele Jahre war Wolfgang Keller so etwas wie ein Fels in der Brandung, die Konstante in einer entwicklungsreichen Zeit. Mit seiner Entpflichtung am 3. Juli geht eine Ära zu Ende. Die Hoffnung wird bleiben, dass der Theologe und Seelsorger Wolfgang Keller der Kirche und den Menschen in der Region mit seiner Erfahrung und seiner kritischen Sicht auf die Entwicklungen auch weiterhin verbunden sein wird.

 

Hinweis

Der Gottesdienst zum Abschied von Wolfgang Keller am 3.07.2022, der musikalisch von dem Dekanatskantorenteam, dem Klarinettenensemble Quattrio und Chören aus Schotten und Gedern gestaltet wird, beginnt um 14 Uhr in der Stadtkirche Nidda. Im Anschluss besteht die Möglichkeit, sich im Rahmen eines Empfangs im Johannes-Pistorius-Haus persönlich von Wolfgang Keller zu verabschieden.