1.09.2020
Von Gert Holle
(Nidda/gho) - Sich auf Menschen einfühlsam einzulassen, ihnen zuhören und erspüren, wo sie Halt und Unterstützung geben kann, das ist ihre große Stärke. Ob als Gemeindepfarrerin ab Mitte der 1990er Jahre in Dauernheim oder als Dekanin seit nunmehr 15 Jahren in den Dekanaten Büdingen und, in der Folge ab 2016, im Büdinger Land – Sabine Bertram-Schäfer geht auf Menschen zu und legt dabei eine Präsenz an den Tag, die ihresgleichen sucht. Sie ist nah bei den Menschen und versteht es zugleich, eine ausreichende Distanz zu wahren, die es ihr möglich macht, zu helfen. Das ist ihre zweite große Stärke. Sie ist pragmatisch, packt die Dinge an, ohne viel Aufhebens zu machen.
Kaum hatte sie im Jahr 2005 das Amt der Dekanin übernommen, initiierte sie mit engagierten Menschen die Büdinger Tafel. Dass Menschen am Rand der Gesellschaft stehen, sich nicht ausreichend Essen kaufen können, das wollte und konnte sie nicht einfach hinnehmen. Und als sei es das Selbstverständlichste der Welt, schob sie kurz darauf eine Stiftung unter dem Dach der Stiftung Diakonie Hessen an, die bis heute über 100.000 Euro als Stiftungskapital angesammelt hat. So konnten neben der Tafel auch noch Angebote für Alleinerziehende, aber auch individuelle Einzelhilfen und diakonische Projekte umgesetzt werden. Mit ihrem Engagement und ihrer grenzenlosen Zuversicht ermöglichte sie maßgeblich den Ausbau des maroden Bahnhofs in Bleichenbach zu einem modernen Jugendzentrum und die Einrichtung eines Psalmenwanderweges um Usenborn herum, wo sie neben der Dekanestelle in Büdingen noch eine Viertel-Stelle als Pfarrerin bis zum Jahr 2016 inne hatte. „So konnte ich stets den direkten Kontakt zu den Menschen aufrecht halten, konnte sehen, wo es Veränderungen gibt und wo wir unterstützend eingreifen können.“
Kirche gestalten, Verantwortung übernehmen
Sabine Bertram-Schäfer gestaltet gerne, ganz besonders in ihrer Kirche, aber auch außerhalb. Nach dem Theologiestudium in Mainz und Marburg und ihrem Vikariat in Usingen hat sie erlebt, wie junge Leute nach ihrem Studium nicht mehr ins Vikariat und ins Pfarramt übernommen wurden. Ihr Ehemann Peter war auch davon betroffen. „Die Kirchenleitung hätte damals Übergangslösungen schaffen müssen. Vielleicht war das der entscheidende Motivationsschub für mich: Ich wollte Kirche mitgestalten. Verantwortung übernehmen, auch unter schwierigen Vorzeichen.“ Einige Jahre vertrat sie das Dekanat Nidda in der Landessynode. Doch sie merkte schnell, dass da noch mehr ist. „Ich wollte andere Menschen an Entscheidungsprozessen beteiligen, sie einbeziehen und nicht einfach nur so am grünen Tisch Ideen entwickeln.“ Folgerichtig der Schritt in relativ jungem Alter von 33 Jahren, das ihr angetragene Amt der stellvertretenden Dekanin im Dekanat Nidda anzunehmen. Nach und nach wuchs sie in Funktionen im Aufsichtsgremium der Regionalverwaltung hinein, im Diakonischen Werk Wetterau – aber eben auch außerhalb von Kirche. Seit einigen Jahren bringt sie ihre Kompetenzen in den Leaderbeirat der Region Oberhessen ein. Die Regionalentwicklung und die Entwicklung im Dekanat Büdinger Land hängen für sie eng miteinander zusammen. Netzwerke knüpfen, sich austauschen, miteinander gestalten – diesen Weg hat Sabine Bertram-Schäfer stets beschritten. Auch bei der Fusion der drei Dekanate Büdingen, Nidda und Schotten, die sie im Rückblick als erfolgreich und geglückt bezeichnet. „Es war sicher nicht ganz einfach, aus drei eigenständigen Einheiten ein neues Dekanat zu bilden, aber gemeinsam haben wir uns 2011 auf den Weg gemacht, geplant, Modelle entworfen, verworfen, bis wir schließlich im Januar 2016 das Dekanat Büdinger Land gründen konnten.“ Mittlerweile ist auch der Anbau am Haus der Kirche und Diakonie in Nidda fertig, der neben mehreren neuen Büroräumen auch einen großen Sitzungssaal bietet. „Dadurch haben wir wieder neue Möglichkeiten, Veranstaltungen durchzuführen. Neue Begegnungsräume tun sich auf.“
Auf zu neuen Ufern
Ob die 53-jährige Theologin jedoch allzu viel von den neuen Räumlichkeiten profitieren kann, ist derzeit ungewiss. Denn auf eine Anfrage hin, die sie im letzten Jahr aus der Propstei Nord-Nassau erreichte, hat sie sich auf das Amt der Pröpstin beworben. Der Zeitpunkt für einen Wechsel sei richtig, da mit Simon gerade der jüngere ihrer beiden Kinder das Haus nach dem Abitur verlassen habe. Und auch für ihren Mann wäre es unproblematisch. Der Sitz der Propstei ist in Herborn. Von dort könne er rasch die Schule in Friedberg erreichen, wo er als Direktor tätig sei. Die Entscheidung darüber wird voraussichtlich in einer Sondersitzung der Landessynode am 19. September in Offenbach fallen.
Im Vertrauen auf Gottes große Liebe
Herausforderungen reizen sie. Theoretisch könnte sie zwei Perioden lang die Geschicke der Propstei mitgestalten - eine Region, die ihr nur zu gut vertraut ist. Sie ist in Bayern geboren, im Westerwald aufgewachsen. Ihr Abitur legte sie in Limburg ab. Als Dekanin ist sie derzeit noch Dienstvorgesetzte ihrer 41 Pfarrerkolleginnen und Kollegen, doch als Pröpstin wäre sie noch einmal verstärkt als Seelsorgerin gefordert. Auch das liegt ihr gut. Ihre Kraft schöpft sie dabei aus dem Glauben, aus der Begegnung mit anderen Menschen. So sieht sie, ähnlich wie bei der Ausübung des Dekaneamtes auch, in dem Amt der Pröpstin kein rein administratives, sondern ein geistliches Amt. „Ich vertraue auf die größere Kraft der Liebe Gottes gegenüber allem, was uns Menschen und der ganzen Schöpfung entgegentritt“, sagt sie voller Gewissheit. „Weil Gottes Liebe und Kraft nicht nur unsere Möglichkeiten übersteigt, sondern auch das, was wir tun, was wir denken und uns sogar vorzustellen vermögen. Für mich sind Gottes unermüdliche Arbeit und unser Mitwirken an einer Wandlung allen Lebens in einen neuen Himmel und eine neue Erde keine Utopie, sondern erfahrbare Realität.“
Teilen und Gottes Wort weitertragen
Mit Claudia Gierke-Heinrich, Klinikseelsorgerin und stellvertretende Dekanin im Dekanat Runkel, gibt es eine weitere Kandidatin, die in einer nicht einfachen Zeit ebenfalls Leitungsverantwortung übernehmen will. Auch sie kennt wie Sabine Bertram-Schäfer das Ländliche. Um mit den knapper werdenden Kassen zu Recht zu kommen, möchte Sabine Bertram-Schäfer genau schauen, wo die Ressourcen zielgerichtet eingesetzt werden können. „Es wird ums teilen gehen. Es darf nicht sein, dass an Gemeindepädagogen oder Kirchenmusikern gespart wird.“ In gemeinsamen Gemeindebüros sehe sie Potenziale, ebenso wie im genauen Hinschauen auf Gebäudeauslastungen. Kirche müsse sich öffnen, Kooperationen suchen, Kräfte bündeln. „Ich erkenne gute Wege eines Miteinanders von Haupt- und Ehrenamtlichen. Wenn wir es verstehen, Teams zu bilden, in denen die vielfältigsten Fähigkeiten und Talente eingebracht werden können, wenn wir weiterhin gemeinsam Gottesdienste feiern, dann ist mir nicht bange. Dann können wir Gottes Wort weitertragen und die Menschen begleiten. Wenn es uns weiterhin gelingt, uns einfühlsam auf die Menschen einzulassen, ihre Freude, ihre Trauer im besonderen Raum des Gottesdienstes auszudrücken, eine Glaubensantwort auf ihre Fragen zu finden, dann erleben sie Kirche.“
Zusammenarbeit über Gemeindegrenzen hinweg
Die wertschätzenden Begleitung und Weiterbildung der Ehrenamtlichen sei eine eminent wichtige Säule im kirchlichen Leben. Hierüber mit Dekaninnen und Dekanen, mit DSVs und Kirchenvorständen ist Gespräch kommen, die Zusammenarbeit über Gemeindegrenzen hinweg anstoßen und ihre vielfältigen guten Erfahrungen einbringen, das möchte sie als Pröpstin gerne tun. Doch noch ist nichts sicher. Sollte sie am 19. September nicht gewählt werden, würde sie weiter als Dekanin im Büdinger Land arbeiten und ihr neues Büro beziehen. Dann könnte sie weiterhin in der Kantorei Büdingen mitsingen, ein liebgewonnener Ausgleich zu ihrer sonstigen Arbeit. Dann müsste sie sich auch kein neues Fitness-Studio suchen, wo sie abseits von Kirche zweimal die Woche etwas ganz allein für sich tut – sofern es ihr prall gefüllter Terminkalender zulässt. So oder so, Sabine Bertram-Schäfer geht positiv gestimmt an die vor ihr liegenden Aufgaben heran. Würde sich die Mehrheit in der Synode für sie entscheiden, wäre Dienstantritt am 1. Januar. Genug Zeit, den Umzug nach Herborn zu managen, genug Zeit, ihren langjährigen Stellvertreter Wolfgang Keller auf die Zeit der Vakanz vorzubereiten und die Geschäfte in gute, bewährte Hände zu übergeben. Schließlich will sie die Dinge geregelt wissen, bis im Herbst 2021 ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin gewählt werden kann. Wolfgang Keller wird dafür nicht zur Verfügung stehen, da er sich bereits im Juli 2022 in den Ruhestand verabschiedet.
Begegnen, begeistern, beteiligen
Sabine Bertram-Schäfer weiß, dass es keine Zauberformeln gibt, die Veränderung des ländlichen Raumes einfach anzuhalten. „Wir müssen uns mit den Rahmenbedingungen befassen und können in Einzelschritten als Kirche unseren Beitrag leisten, den ländlichen Raum lebendig zu erhalten.“ Kontakte mit nachhaltig arbeitenden bäuerlichen Familienbetrieben, der Einkauf von regionalen Erzeugnissen für Veranstaltungen; aktive Kirchengemeinden mit Angeboten für Kinder und Jugendliche, für kreativ, musikalisch, literarisch Interessierte, für Senioren könnten dabei zum Wohnwert von Dörfern und Kleinstädten beitragen. In die kurz vor dem Abschluss stehende Abfassung einer Dekanatskonzeption für das Dekanat Büdinger Land seien viele gute Ideen eingeflossen. „Wenn wir es schaffen, den Menschen Räume der Begegnung und der Begeisterung zu öffnen, wenn wir uns begeistern lassen und zu Begegnungen nach draußen gehen, dann öffnen sich auch Räume für Beteiligungen. Dazu möchte ich meinen Beitrag leisten - ob als Dekanin im Büdinger Land oder als Pröpstin in Nord-Nassau.“