Von Alban Burster
Quelle: Kreis-Anzeiger – 10.02.2018
(WETTERAUKREIS/VOGELSBERGKREIS/alb) - Jahr für Jahr treten Menschen aus der Kirche aus. Die Gründe sind vielfältig. Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche versuchen, dem entgegenzuwirken. Die Ursachen für Austritte ließen sich in gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen sehen: Globalisierung und Digitalisierung wirkten sich negativ auf die Bindekraft zur Kirche aus und auch eine seit Jahrzehnten abnehmende Geburtenrate habe ihre Spuren hinterlassen, ist man bei den Kirchen überzeugt. Die Bereitschaft zum Austritt erhöhe sich durch Irritationen, wie sie durch Missbrauchs- und Finanzskandale hervorgerufen werden, meint Gert Holle. Er ist Leiter des Referats Öffentlichkeitsarbeit im evangelischen Dekanat Büdinger Land. Die Ereignisse um den Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst im Jahr 2013 hätten auch bei Protestanten am Vertrauen in die eigene Glaubensgemeinschaft gerüttelt, meint Holle.
Außerdem: Am 24. Januar 2017 hat der hessische Landtag das „Gesetz zur Änderung der Zuständigkeit für das Verfahren des Austritts aus Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften des öffentlichen Rechts“ in zweiter Lesung angenommen. Seit März 2017 greift das neue Gesetz. Das bedeutet: Nicht mehr das zuständige Amtsgericht, sondern die Städte und Gemeinden sind für die Kirchenaustritte zuständig. Der Gedanke hinter dieser Entscheidung: Die Austrittsverfahren sollen einfacher abgehandelt werden. Die Bürgerinnen und Bürger können nun direkt vor Ort ihren Kirchenaustritt bei der Kommune begründen, während die Wege zuvor zum verantwortlichen Amtsgericht länger waren. Die zuständige Gemeinde oder Stadt erteilt die Austrittsbescheinigung und übermittelt eine Abschrift an die Wohnsitzkirchengemeinde. Außerdem soll der Arbeitgeber durch die Änderung rechtzeitig über die Beendigung der Kirchensteuerpflicht informiert werden.
Inwieweit sich diese Neuregelung auf den Kirchenaustritt auswirkt, lässt sich noch nicht genau sagen. Die vorliegenden Zahlen aus den jeweiligen Kommunen lassen aber vermuten, dass mit einer leichten Zunahme der Austritte zu rechnen ist. Endgültige Zahlen liegen erst im April eines Jahres vor, führt Holle an. Auch bei der Austrittsgebühr hat sich mit der neuen Gesetzeslage etwas getan, denn statt den bisherigen 25 Euro muss man für den Verwaltungsaufwand nun 30 Euro zahlen. Bei Kommunen herrsche, so heißt es, keine große Begeisterung über die neue Aufgabe.
Die katholische Kirche sieht die Gesamtsituation durch die Veränderung der Gesetzeslage eher entspannt, denn es habe immer wieder mal Spitzen beim Austritt gegeben. Allerdings seien die ländlichen Gebiete nicht so stark davon betroffen, sagt Norbert Albert, Referent des katholischen Dekanats des östlichen Wetteraukreises.
„Grundsätzlich gilt: Jeder Austritt ist einer zu viel. Da gibt es überhaupt nichts zu beschönigen. Allerdings, wer aus der Kirche wirklich austreten will, findet seinen Weg ohnehin“, bewertet Gert Holle die vorliegenden Zahlen im Gespräch mit dem Kreis-Anzeiger zum Thema Kirchenaustritte ebenfalls erst einmal unaufgeregt. Von 1950 bis 2010 habe sich der Anteil der evangelischen Kirchenmitglieder in Deutschland halbiert, bei der katholischen Kirche sehe es nur unwesentlich besser aus. Im Zeitraum von 2003 bis 2010 sei dort die Zahl von 26,1 auf 23,9 Millionen Mitglieder gesunken, die Protestanten hätten sechs Millionen Gläubige verloren. Heute liege die Zahl unter 22 Millionen. „Die Kirchen haben massiv an Bindekraft eingebüßt“, sagt Holle. Keineswegs könne der Trend ausschließlich mit dem demografischen Wandel erklärt werden, also dass mehr Menschen sterben als geboren werden. „Weltanschauliche Veränderungen, hervorgerufen durch den naturwissenschaftlichen Fortschritt, mögen so manchen Zweifel an biblischen und kirchlichen Aussagen geweckt haben. Fehlende religiöse Erfahrungen, kombiniert mit abnehmendem religiösen Wissen ebenfalls. Dieser Umstand führt möglicherweise dazu, dass vielen jüngeren Menschen ein Leben ohne Religion als selbstverständlich erscheint und dass dementsprechend die Bereitschaft, wiederum eigene Kinder religiös zu erziehen, erkennbar sinkt. Der Glaube an Gott ist in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung nichts Selbstverständliches mehr“, sagt Holle.
Laut katholischem Dekanat gibt es zwischen dem ländlichen und städtischen Gebiet größere Unterschiede. „In den letzten 30 Jahren hat sich nicht viel verändert bei den Mitgliederzahlen im Dekanat des östlichen Wetteraukreises“, beschreibt Albert die Situation. Trotzdem werde die Institution Kirche in der heutigen Gesellschaft anders wahrgenommen, sagt er: „Es ist ein schleichender Prozess – man hat sich entfremdet von der Kirche. Es kommt ganz darauf an, wie sich die Kirche in der Öffentlichkeit repräsentiert. Die Leute haben nur das typische Bild der Kirche im Auge. Vor zwei Wochen hatte man sich aus diesem Grund zusammengesetzt, um zu schauen, wie man dem entgegenwirken kann“, sagt Albert.
Auch wenn sich Jahr für Jahr Menschen innerlich oder sogar äußerlich durch Austritt von Kirchen abwenden, auf dem religiösen Feld sind in Deutschland nach wie vor die beiden großen christlichen Kirchen dominant. „Die Kirchenmitglieder müssen mit Mut und Kreativität den Fragen nachgehen: Welche Kirchen wollen wir? Welche Kirche brauchen wir? Wer ist Christus für uns? Dann kann Vertrauen und damit auch die Bindekraft wachsen“, schlussfolgert Gert Holle. Es sei nicht nur der normale Gottesdienst am Sonntag.
Die Kirche jammere rum, weil früher immer alle in den Gottesdienst kamen – heute nicht, beschreibt Albert und merkt an, dass Kirche trotzdem eine Institution sei, zu der die Menschen gehen: „Die Leute gehen nicht mehr so häufig in die Kirche, sie kommen meist nur an bestimmten Tagen oder zu Terminen in den Gottesdienst. Zum Beispiel bei einem Event oder einem besonderen Anlass für die Familie. Es ist eine positive Entwicklung, aber gleichzeitig auch eine Herausforderung. Der Gottesdienst ist in heutiger Sicht vielfältiger geworden als noch vor mehreren Jahreszehnten“, bilanziert Albert.
Kirchenaustritte vom 1. März bis 31. Dezember 2017:
Büdingen: 101
Nidda: 84
Altenstadt: 82
Florstadt: 46
Ortenberg: 36
Schotten: 36
Reichelsheim: 27
Glauburg: 22
Gedern: 20
Echzell: 20
Hirzenhain: 11
Kefenrod: 6
Insgesamt: 491
Ranstadt: (k.A) Limeshain: (k.A.)
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Hintergrundbilder:
Vögel im Winter: © Hilke Wiegers / fundus-medien.de
Winterweg: © Stephan Krebs / fundus-medien.de
Rote Winteräpfel: © Hans Genthe / fundus-medien.de
Fußspuren im Schnee: © Rolf Oeser / fundus-medien.de