Von Inge Müller
Quelle: Kreis-Anzeiger 11.10.2016
(BÜDINGEN/GEDERN/im) - Mehr als 800 begeisterte Zuhörer haben am Wochenende in den beiden evangelischen Stadtkirchen von Büdingen und Gedern eine großartige Aufführung des Oratoriums „Elias“ von Felix Mendelssohn Bartholdy erlebt und diese jeweils mit stehendem Beifall gefeiert.
Gemeinsam mit den drei Dekanatskantoren Barbara Müller (Büdingen, Dirigat des ersten Teils), Kiwon Lee (Schotten, Dirigat des zweiten Teils) und Katrin Anja Krauße (Nidda, Orgel), den mehr als 160 Aktiven im Chor der drei vereinten Regionalkantoreien und der Kammerphilharmonie Bad Nauheim, den Solisten Karola Pavone (Sopran), Dorothea Pavone (Mezzosopran), Sofia Pavone (Alt), Martin Steffan (Tenor), Jang Chul-Ho (Bariton, in der Titelrolle des Propheten Elias) sowie den zwei jugendliche Knaben-Sopranen Arlo Patzelt und Lorenz Krauße und zahlreichen Helfern waren demnach etwa 1000 Menschen als Akteure und Besucher in einen Festakt involviert, mit dem die Fusion der drei Ursprungsdekanate Schotten, Nidda und Büdingen zu einem einzigen Dekanat Büdinger Land begangen wurde.
Wie die im Februar von der konstituierenden Tagung der ersten Synode des neuen Großdekanats gewählte Dekanin Sabine Bertram Schäfer im Gespräch erläuterte, hätte sie sich kein schöneres Geschenk wünschen können, als Mendelssohn Bartholdys letztes großes geistliches Werk im Kreis so vieler Mitwirkenden zunächst in der evangelischen Kirche Gedern und dann (exakt an ihrem 50. Geburtstag) in der Büdinger Marienkirche aufzuführen. „Was die drei zusammen wirkenden Regionalkantoreien angeht, die sich dennoch jede ihren Ursprung und ihren besonderen Charakter bewahren werden, so ist diese Fusion bereits gelungen“, unterstrich Bertram-Schäfer in ihren Grußworten, die auch einen Dank an die Sponsoren beinhalteten, allen voran die Freundes- und Förderkreise der Kirchenmusik in Nidda, Schotten und Büdingen sowie die Sparkasse Oberhessen und die VR-Bank Main-Kinzig-Büdingen.
Zur Einstimmung
Vorträge führten bereits im Vorfeld in Büdingen und Nidda in das Thema ein. Pfarrerin Ina Petermann erläuterte den historischen und theologischen Rahmen der Geschichte des Propheten Elias, hatte auch entsprechendes Infomaterial vorbereitet. Kantorin Katrin Anja Krauße stellte kompositorische Zusammenhänge dar und brachte am Klavier und von einem Tonträger Musikbeispiele zu Gehör. Die vielen interessierten Zuhörer– in Büdingen waren es 50 – lobten die Lebendigkeit des Vortrags der beiden Experten.
Dass die künftige enge Zusammenarbeit in einem Großdekanat mit 79 Großgemeinden und insgesamt 63 000 evangelischen Christen zahlreichen Menschen ein Herzensanliegen ist, machte auch die Teilnahme vieler Pfarrer, haupt- und ehrenamtlicher Gemeindemitarbeiter der Region als Chorsänger, unter ihnen auch Jubilarin Bertram-Schäfer, deutlich. Pfarrer Martin Schindel aus Nidda wiederum hatte in Kooperation mit den drei Dekanatskantoren das umfangreiche und informativ gestaltete Textheft zur Aufführung konzipiert, zum Teil mit Elias-Aquarellen von Felix Mendelssohn Bartholdy, das es den Zuhörenden ermöglichte, dem dramatischen musikalischen Geschehen um eine der kraftvollsten Gestalten des Alten Testamentes zu folgen.
Elias gilt sowohl Juden als auch Christen und Muslimen als herausragende Prophetengestalt und Sprachrohr Gottes. Christen erblicken in ihm einen Wegbereiter Jesu von Nazareth, da er gleich diesem Wunder wirkte, Tote erweckte und – wie es die Legende besagt – nicht starb, sondern von Gott in einem Feuerwagen gen Himmel entrückt wurde. Die Zeitgenossen Jesu erwarteten daher die Wiederkunft des großen Propheten, und nicht wenige glaubten, in Johannes dem Täufer oder in Jesus von Nazareth selbst den zurückgekehrten Weisen zu erblicken, der den Königen seiner Tage die Stirn bot und unbeirrt für den Glauben an den einen Gott stritt – bedeutet doch der hebräische Name Elija „Mein Gott ist Jahwe“. Die Unsicherheiten bezüglich der historischen Existenz des Propheten, der 3000 Jahre vor der heutigen Zeit gelebt haben soll, veranlassen zudem viele Exegeten, Elias nicht als Einzelperson, sondern als Allegorie für die Auseinandersetzung des gesamten Volkes Israel mit der Vielgötterei seiner Umgebung und dem Glauben an einen einzigen Gott zu sehen.
Mendelssohn Bartholdy ging zehn Jahre lang mit der Thematik und Gestaltung des Oratoriums um, das schließlich 1846, im Jahr vor dem frühen Tod des Meisters, in Birmingham uraufgeführt wurde. Er rang mit der Gestalt des Elias und ihren Widersprüchen, er überarbeitete als protestantisch erzogenes und getauftes Mitglied einer jüdischen Familie vielfach die abschließende Hinführung auf Christus als den verheißenen Messias, der das Werk des Elias‘ vollenden werde.
Nichts von diesen Kämpfen ist dem Oratorium anzumerken – ganz im Gegenteil. „Jedes Schauspiel hätte seine liebe Not mit einem solchen Plot: eine Auferweckung, ein zweifaches Gottesurteil (erst Feuer, dann ein Regen-Wunder) und damit nicht genug, es folgt eine Gottesbegegnung und zuletzt noch eine Himmelfahrt! Doch Mendelssohn geht keiner Situation aus dem Weg, alles unterwirft er einer dramatischen Darstellung mit den Mitteln seiner Musik“, schreibt Klaus Stemmler, Intendant des Festivals Europäische Kirchenmusik, und umreißt damit treffend die Anmutung dieses Oratoriums, das den Zuhörer von Anfang an durch seine Dramatik, seine Emotionalität und Spiritualität gefangen nimmt.
Als wohne man einer Oper oder fast schon einem Film bei, springt die Handlung noch vor der Ouvertüre regelrecht in die Weissagung des Elias hinein, wegen des Irrglaubens der Volkes Israel werde eine lange Dürrezeit über das Land kommen – ausdrucksvoll, tragend durch alle emotionalen Höhen und Tiefen, überzeugend über die gesamte Konzertdauer hinweg: Solist Jang Chul-Ho als der Protagonist. Es folgen, dargeboten vom Chor in der Rolle des Volkes und dem jahwe-gläubigen Palastleiter Obadjah (transparent und prägnant, unter anderem auch in der Rolle des Königs Ahab: Martin Steffan), die dringenden Bitten der Israeliten um Regen sowie die eingeschobene Episode um die Witwe zu Zarpat (innig und anrührend: Sopranistin Karola Pavone) und die Erweckung ihres Sohnes vom Tode. Bereits hier erwies sich das Terzett aus Karola Pavone, Dorothea Pavone (Mezzosopran), Sofia Pavone (Alt) als wirklicher Glücksgriff.
Sängerinnen verzaubern
Die drei Sängerinnen verzauberten die Zuhörer mit den wundervoll fragilen, berühmten „Engel“-Arien des Oratoriums und zelebrierten die Mittlerrolle zwischen Gott und Mensch im Dialog mit dem Chor und dem Propheten. Meisterhaft versteht es der Komponist, den sprachlichen Duktus mit den Mitteln der Musik zu unterstreichen und zu steigern: Ob es um das Flehen der Witwe und ihre Freude angesichts ihres zum Leben erwachten Kindes geht, ob die Machtprobe der Götter und der Spott des Propheten über die Priester des Ba’al inszeniert wird, ob die zarten Knabenstimmen (Arlo Patzelt und Lorenz Krauße) das Regenwunder ankündigen oder der Chor über das ersehnte Wasser von oben jubelt – Musik, Rhythmus und Gesang folgen den Ereignissen, jeder Naturerscheinung und jeder Gefühlsregung, spiegeln sie so, dass auch der heutige Zuhörer unmittelbar angesprochen wird. Womöglich wurden diese Impressionen durch die Anlage des mehr kontemplativen zweiten Teils noch gesteigert: Verfolgt von der Rache der ba’algläubigen Königin Isebel und den Wankelmut seines eigenen Volkes begibt sich Elias in die Wüste, um zu sterben. Die Aufforderung der Engel, sich auf die vierzigtägige Wanderung zum Berg Horeb zu begeben, führt zur direkten Begegnung des Propheten mit Gott – vom Chor zunächst mit Urgewalt und schließlich mit langen, spannungsvollen Pausen und jenem sanften Säuseln nachvollzogen, in dem sich der Herr selbst Elias naht. Dem Chor obliegt ebenfalls die Schilderung der weiteren Lebensgeschichte und der Himmelfahrt des Elias wie auch die Ankündigung des kommenden Messias‘.
Mit einem Anklang an das Jesuswort: „Kommt alle zu mir, die ihr durstig seid“, als Quartett dargebracht von den drei Solistinnen und dem Protagonisten, dem feierlichen Schlusschor und einem strahlenden „Amen“ endete ein Ausnahme-Konzertabend, der den Akteuren wie den Zuhörern mit Sicherheit lange in Erinnerung bleiben wird.
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Vögel im Winter: © Hilke Wiegers / fundus-medien.de
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Fußspuren im Schnee: © Rolf Oeser / fundus-medien.de