12. Juni 2021
Am Sonntag, dem 13. Juni 2021, werden in den Gemeinden der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) neue Kirchenvorstände gewählt. Die Wahlperiode läuft über sechs Jahre. In den meisten der 76 Kirchengemeinden des Dekanats haben die Kirchenmitglieder die Möglichkeit zu bestimmen, wer einen Sitz im Leitungsgremium der Gemeinde erhält.
Inge Schneider, freie Mitarbeiterin in der Redaktion des Kreis-Anzeigers, hat unter anderem Gert Holle, dem Öffentlichkeitsreferenten des Dekanats Fragen über die Wahlvorbereitungen, die Kandidaten und die Rolle der ehrenamtlichen Kirchenvorstände für die Kirchengemeinde gestellt. Die Antworten sind auszugsweise im Artikel "Der Endspurt" im KA am Samstag, dem 12. Juni, erschienen. Weitere Gesprächspartner waren Pfarrerin Kerstin Hillgärtner (Gedern), Pfarrer Manuel Eibach (Mockstadt) und Pfarrer Andreas Weik (Büdingen und Calbach).
Im Folgenden können Sie das vollständige Interview mit Gert Holle lesen.
Die Kirchenvorstandswahl findet dieses Jahr coronabedingt als reine Briefwahl statt, die Unterlagen hierzu wurden bereits vor Wochen an die Gemeindemitglieder versendet und können bis zum Tag der Wahl am kommenden Sonntag postalisch übersandt, im jeweiligen Gemeindebüro oder im Wahllokal beim Wahlvorstand abgegeben werden. Welche Resonanz melden die Kirchengemeinden des Dekanates Büdinger Land bisher auf dieses Angebot?
Die meisten der 76 Kirchengemeinden im Dekanat Büdinger Land haben sich im Vorfeld der Wahl entschieden, auf das Verfahren der Briefwahl zu setzen. Hier spielten im Angesicht der Corona-Pandemie zum einen Aspekte der Sicherheit eine Rolle, zum anderen aber auch die Tatsache, dass die bei der letzten Wahl vor sechs Jahren in vielen Gemeinden angebotene Wahlvariante sehr gut angenommen wurde. Im gesamten Gebiet der Evangelischen Landeskirche in Hessen und Nassau lag die Quote der Briefwähler damals schon bei 38,3 Prozent, eine Steigerung um mehr als sieben Prozentpunkten gegenüber der Wahl von 2009. In den Gemeinden der ehemaligen Dekanate Büdingen, Nidda und Schotten setzte man damals noch mehr als in anderen Regionen auf den Gang zum Wahllokal. Bei der aktuellen Wahl kommt der Umstand hinzu, dass in der überwiegenden Zahl der Gemeinden nur noch Briefwahl angeboten wird, d.h. die Stimmabgabe an der Urne in einem Wahllokal nicht vorgesehen ist. So kann natürlich mit einem weit höheren Briefwähleranteil gerechnet werden. Ich würde mich schon darüber freuen, wenn wir insgesamt die Wahlbeteiligung bei doch erschwerten Bedingungen im Durchschnitt halten könnten. Sie lag 2015 leicht über 20 Prozent in den ehemaligen Dekanaten Büdingen, Nidda und Schotten, womit wir im landeskirchlichen Vergleich im oberen Viertel rangierten. In einigen Gemeinden wie Ortenberg oder Rainrod ist es neben der Briefwahl nach wie vor möglich, direkt die Stimme im Wahllokal abzugeben. Gemeinden wie Altenstadt, Oberau, Höchst und Altenstadt-Waldsiedlung bieten sogar mit einer Online-Wahl zusätzlich zu den beiden genannten Möglichkeiten eine dritte Variante an. Wie die Verfahren tatsächlich angenommen werden, lässt sich erst nach der Auswertung der Ergebnisse genau sagen, aber mein Eindruck ist, dass die Briefwahl insgesamt einen sehr guten Zuspruch haben wird.
Wie haben sich die Kandidaten den Gemeindemitgliedern in Zeiten der Pandemie vorgestellt - via Zoom- oder Präsenzgottesdienst, mit Bild und einer Selbstbeschreibung in den Kirchenblättern?
Eine direkte Vorstellung der Kandidatinnen und Kandidaten war leider kaum möglich. Dennoch haben die Gemeinden alle möglichen Wege beschritten, um für die Wahl zu werben. Von der Vorstellung auf den Gemeindehomepages über Portraits in den Gemeindebriefen, von Aushängen in den Schaukästen bis zur rechtzeitigen Versendung der Wahlunterlagen, die Auskunft über das Alter, den Beruf und den genauen Wohnort der zur Wahl stehenden Personen geben, aber auch vereinzelt digital über Zoom. Eine direkte Begegnung und Vorstellung wäre wünschenswert gewesen, da über 50 Prozent der bisherigen Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher aus ihrem Amt scheiden und neue Ehrenamtliche ihren Platz einnehmen werden. Gerade Bewerberinnen und Bewerber, die aufgrund von Zuzug relativ neu in der Gemeinde sind, haben gegenüber etablierten Kandidaten einen gewissen Nachteil, was aber nichts Neues ist.
Welche Erfahrungen liegen Ihnen zum Finden neuer Kandidaten und Kandidatinnen vor? Schwindet, wie man es ja auch aus dem Vereinswesen kennt, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und sich für die eigene Kirchengemeinde zu engagieren?
Die Tatsache, dass über 50 Prozent der bisherigen Kandidatinnen und Kandidaten Nachfolger finden werden, zeigt, dass es um die Bereitschaft, sich im Kirchenvorstand einzusetzen, weit besser bestellt ist, als es landläufig vermutet wird. Nur wenige Gemeinden hatten es bis zum Stichtag nicht geschafft, eine ausreichende Liste zusammenzustellen. Doch auch hier besteht noch Hoffnung für eine nachgezogene Wahl im September. Wenn man sich vor Augen führt, dass es in unserer Region gelungen ist, rund 280 Menschen für die Übernahme eines Ehrenamtes neu zu begeistern, mindestens ebenso viele Menschen weiter ihr Amt ausüben wollen, dann schaue ich für diesen Bereich doch optimistisch in die Zukunft. Anders mag es mit dem Zulauf zur Kirche insgesamt aussehen.
Wenn dem so sein sollte: Welche Gründe gibt es für dieses Phänomen und sehen Sie Chancen, es umzukehren und wieder mehr Zulauf zur Kirche ganz allgemein und zu ihren Ehrenämtern zu generieren?
Neben der zunehmenden Individualisierung in unserer Gesellschaft werden oft Aspekte genannt wie „Die Kirche ist nicht mehr zeitgemäß“, „Die Familienstruktur hat sich geändert und damit die Weitergabe von Wissen über die eigene Religion“ oder „Der Glaube ist heutzutage nicht mehr wichtig, steht gar wissenschaftlichen Erkenntnissen entgegen.“ Darüber ließe sich sicher trefflich diskutieren, aber ich glaube ein anderer Punkt scheint mir viel entscheidender zu sein: Wie leben wir unseren Glauben und wie reden wir darüber? Wovon lassen wir uns begeistern und wie können wir andere an unserem Feuer teilhaben lassen? – In unserer Dekanatskonzeption, die wir im Frühjahr beschlossen haben, gibt es drei wesentliche Elemente, die quasi das Gerüst darstellen: Wir müssen danach schauen, wo es Möglichkeiten der Begegnung gibt, Möglichkeiten, Menschen zuzuhören und sie so anzunehmen, wie sie sind. Wir müssen auch neue Begegnungsräume schaffen, um eben nahe bei den Menschen sein zu können. Eine zweite Säule ist unsere Begeisterung, das Feuer für unseren Glauben. „Die Sache Jesu braucht Begeisterte“ habe ich in meiner Kinder- und Jugendzeit gesungen und da ist viel Wahres dran. Und das dritte Element ist, Räume wahrzunehmen, in denen Beteiligung möglich ist. Gerade die Menschen, die sich jetzt um einen Sitz im Kirchenvorstand bewerben, beteiligen sich aktiv an der Gestaltung von Kirche im Ort, im Dekanat und auch auf landeskirchlicher Ebene. Ihnen obliegt es, in verantwortlicher Position für die Umsetzung dieser Konzeptionsidee „Begegnen – Begeistern – Beteiligen“ einzustehen und sie inhaltlich zu gestalten. Das bedeutet auch, sich für neue Ideen zu öffnen, zu schauen, wo man auf Menschen mit anderen Vorstellungen zugehen kann, ausloten, wo Kooperationen zum Wohle aller geschlossen werden können.
Gibt es Zahlen über die alters- und berufsmäßige Zusammensetzung der Kirchenvorstände im Dekanat Büdinger Land? Ist das Ehrenamt eher etwas für die ältere Generation oder finden sich auch jüngere Menschen, die bereit sind, sich zu engagieren?
Der Großteil der im Kirchenvorstand Engagierten lag bislang im Schnitt zwischen 40 und 60 Jahren. Das sind etwa 50 Prozent. 34 Prozent der Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher war über 60 Jahren. Lediglich 16 Prozent waren unter 40 Jahre alt. Diese Aufteilung hat sicherlich mit Schwerpunktsetzungen im Berufsalltag und im Freizeitbereich zu tun. Junge Menschen, die sich in der Ausbildung, im Studium befinden, gerade eine Familie gründen, sich eine Existenz aufbauen, haben ein geringeres Zeitbudget um sich in Kirche oder auch in Vereinen ehrenamtlich zu engagieren. Dennoch gibt es in einigen Gemeinden auch Jugendliche, die als Jugenddelegierte im Kirchenvorstand mitgestalten wollen, es gibt auch Menschen in den 30ern. Als ich als 20-jähriger Student in den Kirchenvorstand meiner Heimatgemeinde gewählt wurde – das ist jetzt 36 Jahre her -, war ich ein absoluter Exot. Die meisten Mitglieder des Vorstandes waren über 60 Jahre. Und es waren ausschließlich Männer. Da hat sich Einiges verändert. Der Frauenanteil lag im Dekanatsdurchschnitt nach der letzten Wahl bei ca. 63 Prozent. Das dürfte dieses Mal noch anwachsen. Der mittlerweile geringe Männeranteil hat auch zur Folge, dass bestimmte Berufsgruppen, z.B. Handwerker, in den Vorständen kaum mehr vertreten sind. Bestimmte Berufe tauchen dagegen überproportional stark auf: Bürokauffrau, Einzelhandelskauffrau, Bankkauffrau, Industriefachwirtin, Verwaltungsangestellte, Hausfrau. Erzieherin und Mitarbeiterinnen in sozialen und diakonischen Einrichtungen, Apothekerin und Apotheker, Informatiker, Gärtner und Landwirt. - Unabhängig vom Alter und Geschlecht ist es wichtig, dass Menschen ihren Sachverstand, ihre Persönlichkeit und ihre Begeisterung für den Glauben in die evangelischen Gemeinden einbringen.
Welche Aufgaben übernimmt der Kirchenvorstand in seiner Kirchengemeinde - und wie ist er übergemeindlich vernetzt?
Wie schon gesagt: Viele Menschen in unserer Kirche sind nach wie vor bereit, ehrenamtlich Verantwortung zu übernehmen. Sie gestalten sie mit und sorgen dafür, dass Auftrag und Botschaft der Kirche in unserer Gesellschaft präsent sind. Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher prägen dankenswerter Weise entscheidend das Bild der Kirche vor Ort mit. Sie leiten nicht nur vor Ort, sondern entsenden auch Delegierte in die Dekanatssynode. Und diese wiederum entsendet Delegierte in die Landessynode. Konkret entscheidet der Kirchenvorstand über geistliche und rechtliche Fragen. Er verwaltet die Finanzen, wählt die Pfarrerin oder den Pfarrer, trägt Mitverantwortung für die Seelsorge und die Gottesdienste, beschließt die Personalangelegenheiten und ist für das Gemeindeleben verantwortlich – gemeinsam mit allen haupt- und ehrenamtlichen Tätigen. Und er soll auch die Kinder- und Jugendarbeit sowie kulturelle Angebote in der Gemeinde ausbauen und neue Formen des Gemeindelebens erproben.
Welche Erfahrungen in der Zusammenarbeit ehemals eigenständiger Kirchenvorstände liegen aus der Zusammenlegung von Gemeinden zu größeren pastoralen Einheiten vor?
Mit dieser Frage sprechen Sie an, was auf die Gemeinden in Zukunft zukommen könnte. Bislang haben sich nur ganz wenige Gemeinden zu einem Zusammenschluss durchgerungen – in unserem Dekanat sind das Glauburg und Stockheim sowie Wallernhausen und Fauerbach. In diesen fusionierten Gemeinden wird bei den Wahlen versucht, die Kirchenvorstände so zu besetzen, dass die bisher eigenständigen Gemeinden weiterhin zahlenmäßig im Verhältnis wie bislang auch vertreten sind. An der Zuständigkeit des Pfarrers und der Pfarrerin für die beiden ehemals selbständigen Gemeinden hat sich nichts geändert. Ein anderes Modell, dass auch in der Dekanatskonzeption präferiert wird, ist die Zusammenarbeit von Gemeinden in Regionen. Hier werden Kirchenvorstände in bestimmten Aufgabenfeldern kooperieren oder tun es bereits. So haben Gemeinden in mehreren Regionen ein gemeinsames Büro eröffnet, beispielsweise in der Region Altenstadt, in der Region Schotten oder in der Region Ortenberg. Das erfordert neue Absprachen und Orientierungen bei den nun zu wählenden Vorständen. Die Idee von größeren Einheiten bedingt, dass das Ganze auch mit Leben gefüllt wird und sich nicht nur in strukturellen und verwaltungsmäßigen Veränderungen ergeht. Eingriffe in über Jahrzehnte und teils sogar über Jahrhunderte tradierte Gewohnheiten bedürfen der Akzeptanz der Menschen in den Ortsgemeinden und müssen ihrer Lebenswelt entsprechen. Die in einigen Studien beklagte nachlassende Bindekraft von Kirche hat sehr stark mit rückläufiger Präsenz und Erreichbarkeit von Persönlichkeiten zu tun. – Ich wünsche mir insgesamt eine starke Wahlbeteiligung, denn eine hohe Wahlbeteiligung gibt dem Kirchenvorstand einen festen Rückhalt für eine verantwortungsvolle Aufgabe. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für ein lebendiges und gefestigtes Gemeindeleben.