20.10.2018
Quelle: Kreis-Anzeiger –
20.10.2018
Von Holger Sauer
(Nidda/Region/hks). Das Schriftstück ist bemerkenswert. In nahezu jeder Zeile kommt das Bild eines aufgeklärten Christen zum Ausdruck. Es zeugt von Haltung, von Überzeugung, von unverrückbaren Positionen. „Wir stehen für etwas“ – das ist die Botschaft, die davon ausgeht. Und ihr Kern fußt auf wenigen Worten: Jeder Mensch ist der Nächste. Unabhängig von Geschlecht, Alter, Religionszugehörigkeit, sozialer Teilhabe und Nationalität. Dieser Satz ist zu finden in einem Positionspapier des Synodalvorstandes des Evangelischen Dekanats Büdinger Land. Mit „Nächstenliebe verlangt Klarheit: Für eine menschenfreundliche Gesellschaft ohne Ausgrenzung“ ist es überschrieben. Das Papier als Bekenntnis, so sagen die Verantwortlichen, soll Orientierung geben. Der Zeitpunkt des Erscheinens kommt derweil nicht von ungefähr.
„Angesichts zunehmender gesellschaftlicher Polarisierungen stellt sich auch für uns als Christinnen und Christen die Frage, welche Haltung wir einnehmen und wie wir mit menschenverachtenden Äußerungen umgehen. (...) Hass, Fremdenfeindlichkeit, Schubladendenken und die Ausrichtung an Menschen, die für unüberschaubare Sachverhalte scheinbar einfache Lösungen anbieten, finden in Teilen der Bevölkerung zunehmend Anklang. Das friedliche Zusammenleben ist gefährdet“, stellt der Synodalvorstand eingangs fest und ordnet damit den Hintergrund ein.
Der Umgang mit dem anwachsenden Rechtspopulismus sei ein
schwieriges Thema, sagt Rolf Hartmann (Nidda), Vorsitzender des Vorstandes der Synode. Aus dessen Sicht wäre es ein falscher Weg, ständig und sozusagen tagesaktuell auf Aussagen, Ereignisse und
Vorkommnisse wie zuletzt in Chemnitz zu reagieren. „Dadurch bekommen Rechtspopulisten doch nur immer mehr Aufmerksamkeit“, sagt Hartmann. „Wir wollen sagen: Wofür steht das Dekanat, wofür steht
der Vorstand. Auch vor dem theologischen Hintergrund. Das ist wichtig für uns.“ Diesen Standpunkt wollten auch die Menschen erfahren, wenn man mit ihnen in Diskussionen stehe. Gleichwohl wisse
man, „dass auch wir Mitglieder haben, die für rechtspopulistische und rassistische Gedanken empfänglich sind“. Hier gelte es deutlich zu machen, dass diese mit christlichen Werten nicht
übereinzubringen sind.
„Das Erstarken der AfD ist natürlich auch ein Grund“, sagt Dekanin Sabine Bertram-Schäfer. Durch Aktionen oder Veranstaltungen gegen Positionen dieser Partei würde man den Rechtspopulisten im
Grunde nur noch zusätzlichen Raum geben. Was als kontraproduktiv angesehen wird.
Der Weg des Dekanats ist da ein anderer: „Wir wollen sagen, wofür wir stehen, und zwar in positiver Form.“ Dazu gehört: „Unsere Grundpositionen sind nicht zu vereinbaren mit den Grundpositionen der AfD“, sagt Bertram-Schäfer. Sie betont aber zugleich: „Wir wollten hier kein Papier gegen die AfD auf den Weg bringen.“ Hartmann: „Auch diejenigen, die anders denken, nehmen wir als Gesprächspartner mit ihren Nöten ernst.“ Statt selbst Mauern zu errichten, will man offen den Dialog suchen, sich den begründeten und real existierenden Sorgen und Problemen der Menschen, die sie vielfach zu Recht benennen, annehmen.
„Was treibt die Menschen dazu, AfD zu wählen?“, fragt Sabine Bertram-Schäfer. Themen wie Armut und auch Wohnraumprobleme spielten da eine Rolle. „Wir wollen zeigen, dass auch wir uns damit auseinandersetzen, dass wir uns ,für Euch‘ einsetzen.“ Antworten auf Sorgen und Ängsten dürften allerdings nicht darin liegen, Menschen gegeneinander auszuspielen. Man müsse schon klar machen: „Dem Land wird es nicht besser gehen, wenn die AfD regieren würde. Die Rente wird nicht niedriger werden, nur weil es Flüchtlinge gibt“, betont die Dekanin.
Der stellvertretende Dekan Wolfgang Keller (Schotten) ist der Auffassung, dass die Menschen offenbar weltweit das Gefühl haben, etwas passiere, das sie nicht mehr verstehen. Damit verbunden die Frage, ob die politische Klasse nicht mehr wahrnehme, was die Leute wirklich bewegt. Hierzu findet das Positionspapier den theologischen Ansatz: „In Christus finden wir eine gemeinsame Bindung als Geschwister im Glauben und den Auftrag zur Mitgestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Unser Glaube bietet Freiheit und Geborgenheit, wie es im Psalm 31 heißt: ,Du stellst meine Füße auf weiten Raum.‘ So treten wir mit Überzeugung für eine menschenfreundliche Gesellschaft ohne Ausgrenzung ein. Ein christlich geprägtes aufeinander Zugehen im Geist der Liebe und der Besonnenheit trägt dazu bei, Spaltungen und Vorurteile zu überwinden. In gleichem Maße bedarf es zukunftsweisender Antworten auf viele Unsicherheiten, die ausgelöst werden durch weltweite Verflechtungen in Wirtschaft, Politik und Kultur und den damit verbundenen gesellschaftlichen Ungleichheiten und sozialen Ungerechtigkeiten. Hier sind wir aufgefordert, Missstände zu benennen, miteinander ins Gespräch zu kommen, gemeinsam Lösungen zu suchen und zugleich eine hoffnungsfrohe Zuversicht in die Gestaltungs- und Veränderungsfähigkeit unserer Gesellschaft zu verbreiten.“
Dazu braucht es aber auch „Achtung und Wertschätzung für jeden Anderen“. In kirchlicher und diakonischer Arbeit, in Besuchsdiensten, in der Verkündigung und in der Seelsorge werde man Gesprächspartnern mit Respekt begegnen. „Wir nehmen in unserer Gegenwart geäußerte menschenfeindliche Äußerungen nicht schweigend hin und treten Grenzüberschreitungen in jeder Form sachlich und ruhig entgegen“, heißt es.
Ebenso gilt: Mitglieder ausschließen, die etwa missliebige Meinungen vertreten (so geschehen mit einer AfD-Funktionärin im Dekanat Kirchberg im Landkreis Gießen), kommt für die Verantwortlichen der Kirche im Büdinger Land nicht infrage. Stattdessen der andere Weg, wie ihn der stellvertretende Dekan Keller beschreibt: Wer mitmachen möchte, ist jederzeit eingeladen. Grundlage dafür sind aber die Werte, die sich im Positionspapier finden. Und dort steht: „Wir sind uns bewusst, dass wir uns als Christinnen und Christen im Evangelischen Dekanat Büdinger Land eigenen Vorurteilen stellen müssen. Auch wir können der Versuchung unterliegen, andere Menschen abzuwerten und auszugrenzen. Als Leitungsgremium des Evangelischen Dekanats Büdinger Land treten wir für eine menschenfreundliche Gesellschaft ein, die sich an Toleranz, Vielfalt und Offenheit orientiert.“
Und weiter heißt es: Grundlage „unseres christlichen Glaubens und Handelns ist das Gebot der Nächstenliebe. Als Christinnen und Christen können wir uns im Nächsten und auch im ,Fremden‘ selbst erkennen. Wir alle sind vielfältig und gleichwertig zum Ebenbild Gottes geschaffen“. Lehren der Ungleichwertigkeit, Volksverhetzung, Verächtlichmachung politischer Gegnerinnen und Gegner, Abwertung von Angehörigen bestimmter Gruppen und weitere Handlungen, die den Frieden in der Gesellschaft gefährden, „lehnen wir deutlich ab“.
Gert Holle von der Fachstelle Öffentlichkeitsarbeit erinnert daran, dass das Dekanat nicht zum ersten Mal in dieser Form Haltung zeigt. Vor genau zehn Jahren sind zu Themen Armut, Flucht und Kirchenasyl Positionen in einer Resolution formuliert worden, die auch in der Landeskirche, obwohl pluralistisch aufgebaut, Verbreitung gefunden hat. 2013 ist dann als Reaktion auf die NPD und „Vorfälle in Echzell, Büdingen und Altenstadt“ eine halbe Stelle gegen den Rechtsradikalismus geschaffen worden. Aufgrund ihrer Bedeutung sei daraus später eine ganze Stelle innerhalb der Landeskirche geworden.
Auch auf anderen Feldern ist das Dekanat engagiert. So etwa in der Tafel-Arbeit, mit der Integrationsstelle und in der AG Flüchtlingshilfe. „Wir nehmen Flüchtlinge mit in die Helfergruppe der Tafel, um Verständnis für einander zu wecken. Nicht Abschottung, sondern das Aufeinanderzugehen, ist das Ziel“, sagt Rita Stoll von der Fachstelle Bildung und Gesellschaftliche Verantwortung. Man wolle Begegnungen stiften und unterschiedliche Gruppen miteinander ins Gespräch bringen. Denn: „Wenn Begegnung gelingt, brechen vielfach alte Haltungen auf, was dann positiv ist“, sagt Rita Stoll.
„Für Flüchtlinge ist Geld da,
aber niemand kümmert sich um unsere Odachlosen“ oder „Wir brauchen wieder einen straken Partner, der durchgreift“ oder „Die halten alle nur die Hand auf“. Mit solchen und ähnlichen Parolen werden
ehrenamtliche Mitarbeiter in Kirchengemeinden und der Flüchtlingshilfe im Alltag konfrontiert. Die Fachstelle Bildung und Gesellschaftliche Verantwortung des Dekanats Büdinger Land will helfen,
um Stammtischparolen Paroli bieten zu können. Sie bietet ein Argumentationstraining an, um pauschalisierenden Aussagen und diffamierenden Sprüchen entgegen treten zu können. Im
Jugendkulturbahnhof Bleichenbach findet dazu am 16. November (19 bis 22 Uhr) ein Basiseminar statt. Am 17. November (9.30 bis 16 Uhr) geht es dann um die Praxis. Anmeldungen nimmt bis 5. November
Rita Stoll von der Fachstelle Bildung und Gesellschaftliche Verantwortung entgegen. Telefonnummer: 06043/802614, E-Mail: rita.stoll@dekanat-buedinger-land.de.
Das Dekanat Büdinger Land ist
vor zwei Jahren gegründet worden. Mit 77 Kirchengemeinden und rund 60.000 Gemeindegliedern ist es eines der größten Dekanate der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Bis 2016
gab es die drei Dekanate Büdingen, Nidda und Schotten, die allerdings schon seit 2001 in einer Arbeitsgemeinschaft kooperiert haben. Die 77 Kirchengemeinden gliedern sich auf die Kommunen
Ulrichstein, Grebenhain und Schotten aus dem Vogelsbergkreis, Gedern, Hirzenhain, Nidda, Ortenberg, Ranstadt, Echzell, Reichelsheim, Altenstadt, Limeshain, Florstadt und Büdingen im Wetteraukreis
sowie Hammersbach im Main-Kinzig-Kreis. Sitz des Dekanats Büdinger Land ist Nidda.
Für Demokratie, Menschenrechte und „unsere geschichtliche Verantwortung“ – das Positionspapier aus dem heimischen Dekanat bezieht sich ausdrücklich auf die Tradition der „Theologischen Erklärung von Barmen“ aus dem Jahr 1934. Diese Erklärung wird als zentrale theologische Äußerung der Bekennenden Kirche unter der nationalsozialistischen Herrschaft angesehen. Sie richtete sich gegen die Theologie und das Kirchenregime der sogenannten „Deutschen Christen“, die damit begonnen hatten, die evangelische Kirche der Diktatur des „Führers“ anzugleichen.
Ganz überwiegend betrachten die Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) die Barmer Theologische Erklärung heute als wegweisendes Lehr- und Glaubenszeugnis. In ihrer Präambel vom 31. Mai 1934 heißt es unter anderem: „Wir, die zur Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche vereinigten Vertreter lutherischer, reformierter und unierter Kirchen, freier Synoden, Kirchentage und Gemeindekreise erklären, dass wir gemeinsam auf dem Boden der Deutschen Evangelischen Kirche als eines Bundes der deutschen Bekenntniskirchen stehen. Uns fügt dabei zusammen das Bekenntnis zu dem einen Herrn der einen, heiligen, allgemeinen und apostolischen Kirche. (...) Sie ist bedroht durch die in dem ersten Jahr des Bestehens der Deutschen Evangelischen Kirche mehr und mehr sichtbar gewordene Lehr- und Handlungsweise der herrschenden Kirchenpartei der Deutschen Christen und des von ihr getragenen Kirchenregimentes.“
Die „Deutschen Christen“ waren eine rassistische, antisemitische und am Führerprinzip orientierte Strömung im deutschen Protestantismus, die diesen von 1932 bis 1945 an die Ideologie des Nationalsozialismus angleichen wollte. Sie wurde 1931 als eigene Kirchenpartei in Thüringen gegründet und gewann 1933 die Leitung einiger Landeskirchen in der „Deutschen Evangelischen Kirche“. Mit ihrer Gleichschaltungspolitik und dem Versuch, durch die Übernahme des Arierparagrafen in die Kirchenverfassung Christen jüdischer Herkunft als Judenchristen auszuschließen, löste sie den Kirchenkampf mit anderen evangelischen Christen aus. Diese gründeten daraufhin im Mai 1934 die Bekennende Kirche.
Im Positionspapier des Dekanatssynodalvorstands heißt es: „Die frohe und befreiende Botschaft des Evangeliums ruft alle Christinnen und Christen dazu auf, die Würde aller Menschen zu achten und zu verteidigen.“ Gewalt und Menschenverachtung hätten keinen Platz in der evangelischen Kirche, vorschnelle Ausschließungen missliebiger Meinungen aber auch nicht. Auch hier kommt zum Ausdruck, dass man auf Dialog setzen möchte. Menschen, die für andere Positionen empfänglich sind, will man nicht vor der Tür stehen lassen. (hks)