Quelle: Kreis-Anzeiger – 27. Oktober 2018
Von Holger Sauer
Alles fängt mit einem Stein an. Doch um der Geschichte wirklich gerecht zu werden, muss man sagen: Alles beginnt mit einem prächtigen Sommer. Das heiße, trockene Wetter sorgt für viel Obst an den Bäumen. Auch hinterm „Haus der Kirche“ in Nidda „hängt alles voll“, wie man so schön sagt. Dekanin Sabine Bertram-Schäfer ermuntert nach einer Sitzung, ruhig zuzugreifen: Der Pflaumenbaum trägt reichlich. Und bevor alles verkommt...
Pfarrer Reiner Isheim denkt offenbar das Gleiche. Am Abend des 30. August will er ein paar Zwetschgen pflücken. Gleich nebenan haben schon die Arbeiten für den neuen Erweiterungsbau an das Haus des Dekanats Büdinger Land begonnen. Jetzt spielen Glück und Zufall eine Rolle. Isheim, ohnehin archäologisch interessiert, entdeckt in einer Halde einen Stein. Er hat ein Auge dafür, dass es nicht irgendein x-beliebiger Stein ist. Er sollte Recht haben. Der Stein trägt das Johanniter-Kreuz, römische Ziffern (1551, möglicherweise die Jahreszahl) und andere Zeichen. Damit war die Aufmerksamkeit geweckt, schließlich befindet sich das Areal im besonderen Umfeld der einstigen Johanniter-Kirche und der dazugehörigen Komturei aus dem Mittelalter. „Es war nicht geplant, dass wir was finden“, sagt Gert Holle, Öffentlichkeitsreferent des Dekanats. Aber man habe natürlich erahnen können, wie weit sich das historische Gelände der Johanniter ausgedehnt haben mag. Unverzüglich ist nach dem Fund Kontakt mit der Ärchäologischen Denkmalpflege des Wetteraukreises aufgenommen worden. Kreisarchäologe Dr. Jörg Lindenthal: „Das ist ein wunderbares Stück.“ Er ist sich sicher, dass es sich um einen Grenzstein handelt. Die weiteren Zeichen deuteten auf die Besitzer der damals angrenzenden Grundstücke hin.
Nach dem Fund ist eine baubegleitende archäologische Beobachtung auf dem Areal beauftragt worden. Die ist nun fast abgeschlossen.
Sieben Skelette von Menschen, Tierknochen, zerborstene Keramik, Dachziegel wie sie heute noch im Mittelmeerraum verwendet werden, und im Erdreich an mehreren Stellen alte Pflasterungen. Uwe Schneider von der Wissenschaftlichen Baugrund-Archäologie e.V. ist der Grabungsleiter auf dem Flecken hinter dem „Haus der Kirche“. In einem Raum unter dem Treppenhaus hat er Ausdrucke von Fotografien an eine Wand geheftet. Ebenso einen gezeichneten Lageplan. Uwe Schneider erklärt, was zum Vorschein kam beim Öffnen des Tores in vergangene Zeiten.
Der Verein aus Marburg ist mit den baubegleitenden archäologischen Untersuchungen auf der Fläche beauftragt worden, auf der der Erweiterungsbau für das „Haus der Kirche“ entsteht. Gut drei Wochen haben die Grabungen und Untersuchungen bisher in Anspruch genommen. Ende der nächsten Woche werden die Arbeiten an Ort und Stelle zum Abschluss kommen.
Kreisarchäologe Dr. Jörg Lindenthal bezeichnet das gesamte Areal als „Keimzelle von Nidda“. Denn schließlich war in unmittelbarer Nähe, unter der einstigen Johanniter-Kirche, ein Holzbrett aus der Zeit um das Jahr 800 zutage befördert worden – das „älteste Fundstück der Stadt“. Lindenthal glaubt, dass die einstige Komturei der Johanniter als Wirtschaftshof ein „sehr großes Anwesen“ gewesen sein muss und sich „hier in diesem Bereich“ befunden habe. Diese Komturei soll zwischen 1290 und 1360 existiert haben. Das passt auch zu den von Uwe Schneider im Erdreich entdeckten Bodenfliesen mit ausgeformten Ornamenten, die genau auf diese Zeit schließen lassen. Ein „erhöhtes Fundaufkommen“ dieser Keramik war festzustellen, als Schneider bei den Grabungen auf Pflasterungen gestoßen war. Sie könnten von der Komturei stammen und Überreste des Wirtschaftshofs der Johanniter sein. Was wiederum in die zeitliche Einordnung passen könnte.
Fotos: Gert Holle
Dass in der Nähe zur früheren Johanniter-Kirche Skelette gefunden werden, überrascht Jörg Lindenthal keineswegs. „Bestattungen im Umfeld waren zu erwarten“, da hier ein ehemaliger Friedhof anzunehmen ist. „Und je näher man an die Kirche herankommt, umso dichter war früher die Belegung“, sagt der Experte.
“Ende des 17. Jahrhunderts und damit nach dem 30-Jährigen Krieg ist der Friedhof an eine andere Stelle verlegt worden”, sagt Reinhard Pfnorr. Der Vorsitzende des Vereins Heimatmuseum kennt sich hervorragend aus. Schließlich hat er sich intensiv mit der Geschichte der Johanniter in Nidda beschäftigt und an der Rekonstruktion des einstigen Kirchengeländes im Jahr 2005 mitgewirkt. Diese menschlichen Überreste, die jetzt bei den Grabungen entdeckt worden sind, müssen also in der Zeit zuvor dort bestattet worden sein.
Die Verantwortlichen des Dekanats empfanden die archäologischen Untersuchungen auf dem eigentlichen Baugrund überhaupt nicht als Behinderung. Sondern vielmehr als „Bereicherung“, wie Dekanin Sabine Bertram-Schäfer sagt. Man spürte mit jedem Fund mehr die historische Verbundenheit zu einem Ort, an dem einst der Johanniter-Orden über mehrere Jahrhunderte zu Hause war. Einem Ort, an dem der Niddaer Reformator Johannes Pistorius mehr als 50 Jahre (von 1526 bis etwa 1582/83) gewirkt hat.
Jeder Fund wird aufbewahrt und nach Möglichkeit im Fundbericht zeitlich eingeordnet. Die beiden festgestellten Bodenpflaster, die auf unterschiedlichen Höhen liegen, wurden aufgemessen und in einem Gesamtplan dargestellt. In Rede steht, dass die Funde – wie vorhergehende auch – im Heimatmuseum einen Platz finden sollen.
Uwe Schneider von der Wissenschaftlichen Baugrund-Archäologie hat in Nidda seine Arbeit nahezu erledigt. Fertig ist er aber noch nicht. Aus seiner Feder wird noch ein abschließender Grabungsbericht stammen. Dürfte sicher interessant sein, was da drin stehen wird. Holger Sauer
(Nidda/hks) - Es ist wie bei jeder Familie. Wächst sie, wird mehr Platz gebraucht. Der wird jetzt geschaffen – an der Niddaer Bahnhofstraße.
Als sich die einst selbstständigen evangelischen Dekanate Büdingen, Nidda und Schotten vor zwei Jahren zu einem Verbund unter dem Namen „Büdinger Land“ zusammengeschlossen haben, ging damit auch die Entscheidung über den künftigen Dekanatsstandortes einher. Sie fiel seinerzeit auf das „Haus der Kirche“, das heute Heimat des neuen Großdekanats ist. Mit der Fusion der drei ehemaligen Dekanate ist aber auch der Raumbedarf am zentralen Standort größer geworden. Alleine wegen der gestiegenen Zahl der Mitarbeiter: Was bislang für Nidda alleine reichte, ist zu knapp für die größer gewordene „Familie“.
Ein Erweiterungsneubau soll nun mehr Platz für den erhöhten Bedarf an Flächen bieten. Die Fundament werden im Moment hergestellt. Der Plan sieht vor, wenn alles glatt läuft, dass bis zum Spätherbst 2019 alles fertig ist. Das ansehnliche Projekt hat ein Kostenvolumen von 1,39 Millionen Euro. Das Dekanat Büdinger Land bringt aus eigenen Mitteln 250_000 Euro auf. Aus dem gesamtkirchlichen Budget kommt eine Zuweisung von 940_000 Euro. Für die noch fehlenden 200_000 Euro nimmt das Dekanat ein zinsloses Darlehen auf.
Im
„Haus der Kirche“ gibt es im Moment 35 Büro- und Aufenthalts- sowie erforderliche Nebenräume. Neben dem Dekanats befindet sich auch die Diakonie in der Bahnhofstraße 26. Sie ist dort seit 2005
Mieterin. „Mit dem Einzug der Diakonie mit Beratungsangeboten und Betreuungsverein wurde gewissermaßen eine Brücke geschlagen zwischen dem Wirken des Johanniter-Ordens und der Diakonie. Das
Gelände um den Johanniterturm und damit auch das Areal des „Hauses der Kirche und Diakonie“ gehörte schließlich seit dem 12. Jahrhundert bis zur Reformation der Johanniter-Komturei, wie Gert
Holle, Öffentlichkeitsreferent des Dekanats, hervorhebt. „Die Zusammengehörigkeit von Diakonie und Kirche wird nach außen verkündet und ist unter einem gemeinsamen Dach umgesetzt.“
Beim Diakonieschen Werk arbeiten 20 Beschäftigte, für das Dekanat sind es 14.
Der
Anbau soll Bezug zur Umgebung nehmen: in Form und Material zum benachbarten Johanniter-Turm, durch ein steiles Satteldach zur bestehenden Bebauung im historischen Ortskern und mit einer hellen
Fassade zur Optik der Stadtkirche. Das Konzept stammt vom Offenbacher Architekturbüro Pätzold Kremer.
Der dreigeschossige Komplex wird an das bestehende südliche Treppenhaus angebaut. In der Eingangsebene sind ein zweigeschossiger Saal mit Platz für rund 60 Personen sowie eingeschossige Nebenräume, Küche und eine barrierefreie Toilette vorgesehen. Die beiden Obergeschosse dienen der Erweiterung der Büroflächen. Hier finden auch Neben- und Besprechungsräume Platz. Die Dachfläche des Neubaus soll als Archiv genutzt werden. Das „Haus der Kirche“ bekommt auch einen zentralen Eingang. Das Treppenhaus mit Aufzug wird die beiden Gebäudeteile in allen Geschossen barrierefrei erschließen.
Laut Hans Otto Zimmermann, Vorsitzender des Bauausschusses des Dekanats, hat die Kirchenverwaltung in Darmstadt für die zusätzlichen Kosten, die für die ärchaologischen Untersuchungen des Baugrundes notwendig geworden sind, keinen eigenen Fördertopf. Allerdings ist nach den Worten von Dekanin Sabine Bertram-Schäfer zumindest mündlich ein Zuschuss zugesagt worden für die nicht vorhersehbaren Mehraufwendungen, die auf das Dekanats zukommen werden.
Derweil hofft Zimmermann, dass der Kostenrahmen, den die Kirchenverwaltung genehmigt hat, gehalten werden kann. Er sagt das mit Blick auf die anhaltende Hochpreisphase im boomenden Baugewerbe, mit der auch Kommunen bei öffentlichen Vorhaben zu kämpfen haben.
Dass ein Neubau das Platzproblem am Standort lösen soll, war von Anfang an keine ausgemachte Sache. Andere Objekte, darunter auch das Niddaer Schloss, wurden in Augenschein genommen als Alternative zur Bahnhofstraße. „Wir haben uns viel angeguckt“, sagt Dekanin Bertram-Schäfer zur langen Findungsphase. Letztlich haben gleich mehrere Argumente für den Verbleib an Ort und Stelle gesprochen. „Das Haus ist unser Eigentum. Und wir wollten zusammenbleiben mit der Diakonie. Das war eine klare Prämisse für uns. In Nidda gibt es Gebäudeleerstände. Ein Verkauf wäre sicherlich nicht so leicht möglich gewesen.“
Das
Haus in der Bahnhofstraße 26 war 1878 von Ludwig Cloos, dem Herausgeber der damaligen Niddaer Zeitung (seit 1880) erbaut worden. Im April 2004 begann der erste Um- und Ausbau der ehemaligen
Druckerei. Das besondere am damaligen Bauvorhaben bestand laut Gert Holle darin, unter Einbeziehung des alten Gebäudes ein modernes, funktionales und zugleich stimmiges Konzept zu entwickeln,
ohne dass der architektonische Charme des Hauses, vor allem zur Bahnhofstraße hin, verloren geht. Gelöst wurde das Problem, in dem man den rückseitigen Gebäudeteil um ein weiteres Geschoss
aufstockte. Mehr Nutzfläche war das Ergebnis.
Evangelisches Dekanat Büdinger Land | Bahnhofstraße 26 | 63667 Nidda
E-Mail: Verwaltung
Telefon: 06043-8026-0
Fax: 06043-8026-26
Hintergrundbilder:
Vögel im Winter: © Hilke Wiegers / fundus-medien.de
Winterweg: © Stephan Krebs / fundus-medien.de
Rote Winteräpfel: © Hans Genthe / fundus-medien.de
Fußspuren im Schnee: © Rolf Oeser / fundus-medien.de