Quelle: Kreis-Anzeiger – 8.06.2017
(WETTERAUKREIS/myl) - "Stoppt den dramatischen Flächenverbrauch und die Landschaftszerstörung durch Bauflächen und Straßenbau." Das ist die Kernaussage einer Erklärung, die am Mittwoch in Wölfersheim-Berstadt vorgestellt worden ist. Es war eine ungewöhnliche Zusammensetzung der Akteure: zahlreiche Umwelt- und Landwirtschaftsverbände und die Kirchen. Dekan Wolfram Schmidt vom katholischen Dekanat Wetterau Ost, Dekanin Sabine Bertram-Schäfer vom evangelischen Dekanat Büdinger Land und Dekan Volkhard Guth vom evangelischen Dekanat Wetterau bezogen erstaunlich deutlich Stellung zu den Ausbauplänen von Rewe. In der Gemeinde Wölfersheim will das Unternehmen ein Logistikzentrum errichten. 30 Hektar sollen dafür versiegelt werden (der Kreis-Anzeiger berichtete).
"Die Wetterau, die über eine der fruchtbarsten Böden in Deutschland verfügt, befindet sich im Wandel. Wir erleben einen immer größeren Flächentod, der dazu führt, dass eine der wertvollsten Ressourcen verloren geht. Wir als Kirche möchten die Menschen ermutigen, mitzureden und die Verantwortlichen auffordern, die Menschen zu beteiligen", verdeutlichte Dekan Volkhard Guth die Motivation der Kirche, sich in diese Diskussion einzumischen. Die Bewahrung der Schöpfung gehöre zu den Grundsätzen der Kirche, betonte Dekanin Bertram-Schäfer. Das Land, das bebaut werden soll, sei als Grünland oder Ackerland unwiederbringlich verloren.
Die Kirche besitzt dort selbst zwei Hektar, die verpachtet sind. Vor Kurzem erhielt sie ein Schreiben, dass sie dem Betreten der Fläche zustimmen sollte, weil dort Vermessungsarbeiten für das künftige Bauprojekt von Rewe notwendig seien. Das erweckte bei den Beteiligten den Eindruck, dass alles bereits in trockenen Tüchern sei und das Genehmigungsverfahren für das Logistikzentrum umgangen werden soll. Dieses Vorgehen, sagt Volkhard Guth, komme einer Enteignung gleich. "Wenn eine einzelne Handelskette mit ,regional' und der Nahvermarktung wirbt, dann muss man sich die Frage stellen, wie geht sie mit der Region um, in der die Lebensmittel erzeugt werden?"
Es gebe Gesetze, in denen der Schutz der Böden vor Überbauung geregelt ist, an die sich jedoch keiner halte, folgerte Jürgen Hutfiels, vom BUND-Kreisverband. Auch im Koalitionsvertrag des Kreises sei der Schutz der Böden festgehalten.
Nun beobachte man in der ganzen Wetterau, wie die Gewerbegebiete aus dem Boden schießen. Im Kreisgebiet sei die landwirtschaftliche Nutzfläche in der Zeit von 1991 bis 2015 um 2400 Hektar geschrumpft. Die von Rewe geplante Fläche entspreche der Größe von 40 Fußballplätzen.
"Der Boden ist knapp, der Schutz ist notwendig. Allerdings werden die bisherigen Planungen und Beteiligungsverfahren ausgehebelt." Mit bisherigen Planungen meinte Dr. Doris Jensch vom Nabu-Kreisverband den Regionalen Flächennutzungsplan. Dieser sieht für das besagte Gebiet in Berstadt eine landwirtschaftliche Nutzung vor. Das Bündnis befürchtet, dass das Regierungspräsidium dies ändert. Zehn Landwirte seien von der Umnutzung betroffen, drei von ihnen, erklärte Andrea Rahn-Farr, Vorsitzende des Regionalbauernverbands Wetterau-Frankfurt, seien damit in ihrer Existenz bedroht.
Vom Wetteraukreis und den übergeordneten Gremien wie dem Regionalverband Rhein-Main und der Regionalversammlung Südhessen sowie dem Land Hessen erwartet das Bündnis eine Wende in der Genehmigungspolitik. "Wir appellieren an die Grundeigentümer, ihre Flächen für solche Projekte nicht mehr zu verkaufen und sich dem Umlegungsverfahren gerichtlich zu widersetzen", steht in der Erklärung. Denn mit diesen Umlegungen werde ein Status quo erlangt, der nicht mehr rückgängig gemacht werden könne, wertete Dr. Doris Jensch. Bis heute wartet ihre Naturschutzbehörde auf die Aufforderung zur Stellungnahme. Dieses Beteiligungsverfahren ende, wie sie sagt, am 21. Juni. "Der Regionale Flächennutzungsplan wird immer wieder aufgeweicht. Es ist ein System, das wir hinterfragen müssen. Vielleicht haben wir für dieses Projekt keine Chance, können aber anregen, dass sich insgesamt was tut und Einzelinteressen keinen Vorrang haben." Ob die Kirche vor Gericht ziehen wird? Das wisse er noch nicht, entgegnete Dekan Volkhard Guth auf Anfrage. Ausschließen will er es nicht. Die Diskussion anstoßen sei das erste Ziel.
In einer Pressemitteilung begrüßen die Wetterauer Grünen - von ihnen kam zuerst der Protest gegen das Rewe-Vorhaben - die gestern veröffentlichte Erklärung. Michael Rückl, selbst Wölfersheimer und Vorsitzender der Grünen-Kreistagsfraktion: "Wir freuen uns sehr über diese deutliche Unterstützung des Protestes aus der Mitte der Gesellschaft. Dieses Projekt bringt keine neuen Arbeitsplätze, die Steuereinnahmen sind unklar und werden in der Wetterau nur anders verteilt. Dafür bekommen wir aber einen riesigen Landschaftsschaden." Rückl rechnet nicht damit, dass Rewe die Region verlassen werde.
Der Friedberger Thomas Zebunke, in der Fraktion für Umwelt- und Wirtschaftspolitik zuständig, fügt hinzu: "Die Leidtragenden sind meist die Bauern. Von ihnen wird immer mehr verlangt, zugleich aber wird ihnen die Bewirtschaftungsgrundlage entzogen. Besser für Mensch und Natur wären eine vorausschauende Planung und die Prüfung von Standortalternativen." Als Beispiel nennt Zebunke das Friedberger Kasernengelände.
12 verschiedene Organisationen schlagen Alarm: In der Wetterau werde immer mehr wertvoller Ackerboden zerstört/ Rewe-Logistikzentrum in Berstadt Existenzbedrohung für Landwirte
(BERSTADT/cp) - So viel Einigkeit war selten beim Thema Bodenschutz. Kirchenvertreter, Bauern und Naturschützer sprachen sich gestern auf einer Pressekonferenz in der Evangelischen Kirchengemeinde in Wölfersheim-Berstadt für ein Ende des dramatischen Flächenverbrauchs in der Wetterau aus. Die Region gehöre zu den Gegenden mit dem weltweit höchsten Potenzial für die Lebensmittelproduktion. Dies stelle gleichzeitig die Chance dar, langfristig gute Erträge zu erwirtschaften, und eine Verpflichtung, die hochwertigen Böden zu bewahren, so die Unterzeichner der Erklärung.
Der geplante Neubau eines Rewe-Logistikzentrums in Berstadt ist für die Organisationen zum Stein des Anstoßes geworden. Durch den Bau geht Ackerboden in der Größe von 40 Hektar verloren. Die Vorsitzende des regionalen Bauernverbands, Andrea Rahn-Farr kritisierte, es habe im Vorfeld keine Gespräche mit Bauern und Grundbesitzern gegeben. Für den Rosenhof Ruf, der dort biologischen Rosenanbau betreibt, stelle der Neubau des Logistikzentrums eine Existenzbedrohung dar. Auch die Evangelische Kirchengemeinde Berstadt gehört zu den betroffenen Grundbesitzern. Matthias Storck vom Kirchenvorstand: „Wir haben von der Gemeinde lediglich die Aufforderung erhalten, einer Vermessung zuzustimmen.“ Dieses Vorgehen komme einer Enteignung gleich, kritisierte Dekan Volkhard Guth vom evangelischen Dekanat Wetterau und forderte mehr Bürgerbeteiligung bei der Planung von Großbauprojekten. Gemeinsam mit Dekan Wolfram Schmidt vom katholischen Dekanat Wetterau Ost und Dekanin Sabine Bertram-Schäfer vom evangelischen Dekanat Büdinger Land mahnte Guth, die Bewahrung der Schöpfung vor kurzfristige wirtschaftliche Interessen zu stellen.
Dr. Doris Jensch vom NABU-Kreisverband Wetterau stellte heraus, dass bereits die Römer die fruchtbaren Böden der Wetterau zu schätzen wussten. „Es ist unverantwortlich, dass Böden, die zum wertvollsten Ackerland weltweit gehören, zerstört werden sollen,“ kritisierte die Biologin. Stattdessen könnten die politisch Verantwortlichen zunächst prüfen, wo alte Tagebauflächen oder Industriebrachen bebaut werden könnten.
Die Böden der Wetterau seien wichtig für die Nahversorgung von einer Million Menschen im Ballungsraum Rhein-Main, argumentierte Bauernverteterin Rahn-Farr. Wenn Böden einmal zerstört würden, gingen sie der Produktion von Nahrungsmitteln für immer verloren. Jörg Weber von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft kritisiert die Bebauung wertvoller Böden schon seit Jahren. "Der Mensch lebt vom Boden. Es ist nicht nachhaltig was aktuell in der Region passiert", so Weber. Die Vertreter der Organisationen gaben sich gestern in Berstadt kämpferisch: „Jetzt ist der Tag gekommen, an dem wir dies nicht länger klaglos hinnehmen werden,“ so Weber.
Quelle: Kreis-Anzeiger – 9.06.2017
(Wölfersheim-Berstadt/(myl) - Über die Felder, auf denen das neue Rewe-Logistikzentrum vorgesehen ist (der Kreis-Anzeiger berichtete), rattern noch die Traktoren. So ist das auch hochoffiziell in dem Regionalen Flächennutzungsplan vorgesehen. Wenn dort künftig Laster mit Lebensmitteln be- und entladen werden sollen, was von Landwirten, Naturschützern und Kirchen gleichermaßen kritisiert wird (Stichwort: Flächenverbrauch), wird das kompliziert. Aus landwirtschaftlicher Nutzung muss eine "Sonderbaufläche mit gewerblichem Charakter" werden. Das hört sich einfach an, ist es aber nicht. Zumal zwei große Behörden, das Regierungspräsidium Darmstadt (RP) und der Regionalverband Frankfurt-Rhein-Main daran beteiligt sind.
Fangen wir vor Ort an: Die Mehrheit in der Gemeindevertretung Wölfersheim sagte bereits vor Wochen "Ja" zu einem neuen Bebauungsplan für das Rewe-Vorhaben. Schließlich bedeutet dies mehr Gewerbesteuereinnahmen. In der gleichen Sitzung wurde der Start des Umlegungsverfahrens beschlossen (siehe Info).
Nun geht es nach Darmstadt: Beim RP ist ein Zielabweichungsverfahren des Regionalplans Su¨dhessen/Regionalen Fla¨chennutzungsplans notwendig, weil es sich um eine sehr große Fläche handelt. Die Gemeinde Wölfersheim hatte am 23. Mai 2017 einen Antrag auf die Änderung beim Regierungspräsidium gestellt. Denn die Umwandlung von insgesamt circa 40 Hektar "Vorranggebiet für Landwirtschaft" stellt einen Zielverstoß dar, informiert der Pressesprecher des Regierungspräsidiums Darmstadt, Dieter Ohl, auf Anfrage des Kreis-Anzeigers. Die Behörde hat unter anderem alle Nachbargemeinden, den Wetteraukreis mit allen Fachbehörden, den Regionalbauernverband, den Gebietsagrarausschuss, die IHK und Hessen-Mobil zu ihrer Einschätzung bis zum 30. Juni aufgefordert.
Nun kommt der zweite große Entscheidungsträger ins Spiel. Der Regionalverband Frankfurt-Rhein-Main ist der Träger der regionalen Flächennutzungsplanung und hat, so informiert Pressesprecher Frank Tekkiliç, in der Verbandskammersitzung am 26. April einen Aufstellungsbeschluss für diesen Plan gefasst. Auch der Verband fragt die Behörden und Bürger. Zunächst bittet er um eine frühzeitige Stellungnahme vorwiegend der Fachbehörden. Diese Frist ist vom 16. Mai bis zum 21. Juni. Aber auch Bürger können sich online hier schon einmal zu Wort melden (region-frankurt.de/Offenlegung). Die bis dahin eingegangenen Bedenken und Anregungen werden abgewogen und eine Beschlussvorlage für die Offenlegung, quasi der nächste Teil des Beteiligungsverfahrens, formuliert. Ob das so kommt, beschließt die Regionalversammlung Südhessen in der Sitzung am 22. September. Dieses öffentliche Beteiligungsverfahren ist insbesondere für Bürger oder Institutionen gedacht. Das Ganze dauert dann bis in den Herbst.
"Beide Beteiligungsverfahren, sowohl die frühzeitige als auch die Offenlegung, werden auch bei diesem Verfahren angewandt", bestätigt Pressesprecher Frank Tekkiliç vom Regionalverband. Gegner des Projekts hatten ihre Bedenken geäußert, dass die Beteiligungsverfahren umgangen werden würden.
In einer ersten Einschätzung des Regionalverbands wird das Vorhaben grundsätzlich beschrieben und bietet für das gesamte Änderungsverfahren eine Grundlage. Diese Einschätzung ist sowohl positiv als auch negativ. Positiv wegen der Entwicklungschancen für Wölfersheim, negativ wegen der erheblichen Umweltauswirkungen.
In der Regionalversammlung entscheidet im Übrigen eine Mehrheit von SPD und CDU. Rouven Kötter (SPD) sitzt im höchsten Gremium des Regionalverbands Frankfurt-Rhein-Main, der Verbandskammer, und strebt im Verband eine weitere Karriere als Erster Beigeordneter an. *Der Ortsbauernverband Berstadt lädt für Sonntag, 11. Juni, ab 10 Uhr, zum Tag des Wetterauer Bodens ein. Beginn ist um 10 Uhr. Zentraler Treffpunkt ist das Betriebsgelände der Landtechnikfirma Klotz + Noll, Auf dem Hals 1. Die Veranstaltung beginnt mit der Begrüßung durch Kreislandwirt Michael Schneller und einem themenbezogenen Gottesdienst um 10.30 Uhr. Landschaft und Böden mit Geschichte und Besonderheiten werden vorgestellt. Ab 11.30 Uhr können Gruppen von 20 bis 25 Personen drei begehbare Bodenprofile begutachten und einer fachlichen Erläuterung zu ihren Besonderheiten lauschen. Der Maschinenring Wetterau und das Ingenieurbüro Schnittstelle Boden informieren unter anderem über die Umsetzung der Wasserrahmenrichtline und dem Schutz von Boden und Umwelt. Der Regionalbauernverband Friedberg-Frankfurt informiert über Flächenverluste in der Landwirtschaft und ihre Folgen. Unter anderem werden Betriebsbesichtigungen angeboten.
INFO
Das Umlegungsverfahren ist ein Grundstücksflächentauschverfahren, das im Baugesetzbuch geregelt ist. Bei der Umlegung wird das Eigentum an dem konkreten Grundstück entzogen. Der jeweilige Eigentümer bekommt in der Regel ein neues Grundstück zugeteilt. Entscheidend für die Abgrenzung der Umlegung von der Enteignung ist der Zweck des Entzuges. Bei der Umlegung geschieht dies zum Ausgleich privater Interessen - bei der Enteignung zu einem öffentlichen Zweck. Die Gemeinde muss keine Kaufverträge mit den Eigentümern abschließen. Die Grundstückseigentümer erhalten jedoch eine angemessene Entschädigung, die deutlich über dem heutigen Bodenwert liegt. Sollte ein Landwirt, egal ob Pächter oder Eigentümer, in seiner beruflichen Existenz gefährdet werden, muss die Gemeinde dem betroffenen Landwirt zu einem Ausgleich verhelfen. Ansonsten kann das Projekt nicht umgesetzt werden. Warum hat die Gemeinde Wölfersheim dieses Verfahren gewählt? "Wäre versucht worden, das Projekt im bisherigen Wölfersheimer Verfahren (freiwilliger Verkauf der Grundstücke) durchzuziehen, hätte der Zeitplan nicht eingehalten werden können und Rewe hätte voraussichtlich einen anderen Standort gewählt", ist aus dem Rathaus zu hören.
(WÖLFERSHEIM/myl) - Bürgermeister Rouven Kötter (SPD) ist sich sicher: „Wir haben hier eine sehr große Entwicklungschance für unsere Gemeinde auf dem Tisch liegen.“ Das betonte er am Donnerstag in einer Reaktion auf die Erklärung eines Bündnisses aus Naturschutzverbänden, Landwirten und Kirchenvertretern vom Mittwoch. Darin wendet sich das Bündnis gegen den Flächenverbrauch und die Landschaftszerstörung durch das geplante Rewe-Logistikzentrum (der Kreis-Anzeiger berichtete).
Kötter lässt dagegen keinen Zweifel daran, dass die Gemeinde mit Hochdruck daran arbeitet, das Vorhaben umzusetzen. „Das Projekt ist vielseitig, verlangt von den Mitarbeitern und allen, die daran mitwirken, viel ab. Aber ich bin mir sicher, dass es sich lohnen wird“, findet der Bürgermeister.
In zahlreichen Gesprächen mit Mitarbeitern des Regierungspräsidiums und des Regionalverbandes seien die notwendigen Anträge zur Zielabweichung des Regionalplanes und zur Änderung des Regionalen Flächennutzungsplanes auf den Weg gebracht worden. In der Verbandskammer des Regionalverbandes sei das Änderungsverfahren bereits mit den Stimmen von CDU und SPD befürwortet worden. Die dort vorhandene „Unabhängige Gruppe“ habe sich enthalten, die Grünen dagegen gestimmt, berichtet Kötter. Bemerkenswert findet der Rathauschef, dass sich der Rosbacher Bürgermeister Thomas Alber (parteilos) sehr positiv zu dem Vorhaben geäußert habe, obwohl das Rewe-Lager von Rosbach nach Wölfersheim ziehen soll. Es sei für den Rosbacher Bürgermeister unstrittig, dass man das Lager in der Region halten müsse.
Die Regionalversammlung Südhessen (RVS), in der die Zielabweichung zum Regionalplan beschlossen werden muss, werde sich im Herbst mit dem Projekt beschäftigen.
Die Grundstückseigentümer seien mittlerweile mit zwei Briefen über den aktuellen Sachstand informiert worden. Er habe Verständnis dafür, dass sie sich eine andere Vorgehensweise als das beschlossene Umlegungsverfahren und sich lieber gestern als heute Informationen zum späteren Ankaufspreis wünschen würden, sagt der Bürgermeister. Kötter wirbt jedoch um Verständnis: „Der Ankaufspreis wird von einem neutralen Gutachter ermittelt.“ Es zeichne sich jedoch ab, dass der Ankaufpreis über dem sonst üblichen Ankaufspreis für Ackerfläche, die zu einem Gewerbegebiet wird, liege. Die Ackerflächen hätten in diesem Bereich je nach Bodenqualität einen Wert von etwa 2,50 bis 3,50 Euro pro Quadratmeter. Üblicherweise kaufe die Gemeinde zur gewerblichen Entwicklung für 10,50 Euro pro Quadratmeter an. Beim Logistikpark werde der Preis voraussichtlich noch etwas höher liegen.
Der Lkw-Verkehr werde sich nicht spürbar erhöhen, schreibt Kötter weiter. Das habe ein detailliertes Verkehrsgutachten bestätigt. „Den Verkehr haben wir schon. Künftig haben wir auch einen Nutzen davon.“ Kötter geht noch auf ein weiteres Gegenargument ein, den Landverbrauch von 30 Hektar Ackerboden. „Auch in diesem Bereich gibt es sehr gute Bodenqualitäten, allerdings auch einige weniger gute, denn teilweise sprechen wir von ehemaligem Bergbaugebiet. Diese Flächen stehen der Landwirtschaft künftig nicht mehr zur Verfügung.“ Kötter plädiert dafür, die Größenverhältnisse einzuordnen. In Wölfersheim gebe es über 2950 Hektar Ackerfläche, für die Rewe-Ansiedlung würden 30 Hektar, also rund ein Prozent, benötigt. „Auf der Habenseite stehen dem über 550 Arbeitsplätze und 20 Ausbildungsplätze gegenüber. Es ist die Aufgabe der Politik, die Vorteile und Nachteile eines solchen Vorhabens abzuwägen. Aus meiner Sicht wäre es fahrlässig, diese große Chance für unsere Gemeinde nicht zu nutzen.“
Der Bürgermeister räumt ein, dass die Arbeitsplätze nicht neu entstehen, sondern von Hungen und Rosbach nach Wölfersheim verlagert werden. „Zunächst mal ist das eine sehr gute Nachricht, denn es bedeutet, dass niemand durch den Umzug seinen Arbeitsplatz verliert“, erläutert Kötter. „Klar ist aber auch, dass durch die natürliche Fluktuation – Renteneintritt, Wegzug oder Jobwechsel – schnell Arbeitsplätze frei werden und sich somit Möglichkeiten für Wölfersheimer und Bürger aus der Umgebung bieten, wohnortnah einen Arbeitsplatz zu erhalten.“
(WÖLFERSHEIM/red) - Es geht um die Zukunft von 550 Mitarbeitern und deren Familien, Das sagt Wölfersheims Bürgermeister Rouven Kötter in einem Interview, nachdem sich Widerstand gegen das neue Rewe-Logistikzentrum in Berstadt formiert hat (der Kreis-Anzeiger berichtete). Auch gebe es keine Landwirte, die in ihrer Existenz bedroht seien, sagt Kötter.
Dass sich Umwelt- und Landwirtschaftsverbände kritisch äußern, überrascht nicht. Aber nun schalten sich auch die Kirchen in die Debatte ein. Was sagen Sie dazu?
Kirchen haben selbstverständlich das Recht, sich in gesellschaftspolitischen Fragen zu positionieren. Sie haben meines Erachtens aber auch die Pflicht, dabei alle Argumente anzuhören und zu berücksichtigen. Sie dürfen sich nicht mit Scheuklappen auf einen einzigen Aspekt konzentrieren. Der Mensch gehört auch zu Gottes Schöpfung – und hier geht es um die Zukunft von 550 Mitarbeitern und ihren Familien. Es geht um Perspektiven für unsere heutigen Schüler und darum, ob wir diesen eine Zukunft in unserer Region bieten können. Das kommt in der aktuellen Debatte meiner Meinung nach eindeutig zu kurz. Übrigens sind nicht alle Landwirtschaftsverbände dagegen. Der betroffene Ortsbauernverband Berstadt hat intensiv beraten und sich bewusst nicht negativ zu dem Vorhaben geäußert.
Sie ignorieren die Belange des Naturschutzes und der Landwirtschaft, um Arbeitsplätze zu schaffen?
Nein, so trifft das keinesfalls zu. Rewe baut nach höchsten Standards der Nachhaltigkeit und ist dafür bereits mehrfach ausgezeichnet worden. Auch das Logistikzentrum in Wölfersheim wird ein Musterbeispiel für nachhaltiges Bauen werden. Außerdem wurde angekündigt, einen Naturschutzbeirat für das Projekt zu gründen, bestehend aus örtlichen Naturschützern und dem Klimaschutzbeauftragten der Gemeinde Wölfersheim, Markus Michel. Dieser Beirat soll bei der Gestaltung des großen Außengeländes beraten, denn auch hier will Rewe beispielgebend Maßstäbe setzen. Sowohl bei der Auswahl der Pflanzen, als auch bei der Anordnung der Grünflächen will man sich die Ortskenntnis und Fachkompetenz der lokalen Akteure sichern. Somit könnten beispielsweise für Bienen, Vögel und andere Tiere geschützte Räume geschaffen werden.
Die Gegner des Bauvorhabens argumentieren, dass landwirtschaftliche Betriebe in ihrer Existenz gefährdet werden.
Es stimmt nicht, dass auch nur ein einziger landwirtschaftlicher Betrieb durch das Projekt existenziell gefährdet wird. Das gewählte Umlegungsverfahren ist eine im Baugesetzbuch genau geregelte und in vielen Kommunen regelmäßig angewandte Vorgehensweise. Danach darf ein Projekt nicht umgesetzt werden, wenn auch nur ein einziger Pächter oder Grundstückseigentümer dadurch existenziell gefährdet würde. Sie können sich sicher sein, dass gerade dieser Aspekt genau beleuchtet wird und wir für entsprechenden Ausgleich sorgen müssen. Auch der Ankaufpreis wird von einem neutralen Gutachter festgelegt und deutlich über dem Quadratmeterpreis für Ackerflächen liegen. Jeder, der Land abgibt, wird dafür mehr als fair finanziell entschädigt.
Sie wollen künftig als Erster Beigeordneter zum Regionalverband nach Frankfurt wechseln. Nun wirft man gerade der Regionalpolitik Beliebigkeit vor. Stimmt es, dass jede Kommune an Flächen bekommt, was sie will? Dann könnten wir uns einen Regionalen Flächennutzungsplan doch sparen, oder?
Als ich 2008 Bürgermeister wurde, war der aktuelle Regionale Flächennutzungsplan gerade in der finalen Beratungsphase. Die Planungen liefen seit mehr als drei Jahren. Wer soll denn damals gewusst haben, dass wir 2017 in Wölfersheim ein Logistikzentrum ansiedeln können? Regionalplanung ist wichtig, um Entwicklungen zu strukturieren, aufeinander abzustimmen und die gesamte Region im Blick zu haben. Die Welt dreht sich aber weiter und es muss Aufgabe der Regionalplanung sein, dafür zu sorgen, dass die Kommunen und damit unsere Region auf die Herausforderungen von heute auch Antworten geben können.
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