„Sich selbst den Gefallen tun und darüber reden“

Im Gespräch: Ursula Meyer (links) und Karin Stöcker.  Bild: Simone Parbel
Im Gespräch: Ursula Meyer (links) und Karin Stöcker. Bild: Simone Parbel

Ein Gesprächskreis für Angehörige von Menschen mit Demenz – die Diakonie Dienstleistungen Wetterau (DDLW) bieten regelmäßige und offene Treffen in Nidda und Friedberg an. Eine Teilnehmerin erzählt, wie hilfreich der Besuch dort für sie war und appelliert, über die Probleme und Erlebnisse zu sprechen.

 

(Wetterau/sp) – „Manchmal könnte ich ihm an den Kragen gehen, und dann wieder spüre ich die Liebe zu ihm und tue alles für ihn.“ Ein solcher Satz von Ursula Meyer, deren Ehemann an einer Demenz erkrankte, spricht von Ambivalenzen, die schwer zu ertragen sind. Für viele bedeutet Liebe ein Entweder-Oder: Entweder liebe ich oder ich kann es nicht ertragen. Aber bei der Demenz ist es meist ein Sowohl-als-auch und diese Situation stellt hohe Anforderungen. „Welchen Umgang man damit findet, hängt stark von der eigenen Persönlichkeit ab und von der Struktur des Umfelds, in dem man lebt“, beschreibt Karin Stöcker, Bereichsleiterin Altenhilfe im Diakonischen Werk Wetterau und Leiterin der DDLW. Ein hilfreicher Weg könne sein, über die Dinge zu  sprechen, die man in dieser Situation erlebt.

 

Fortlaufende, offene Gesprächskreise bieten die Diakonie Dienstleistungen Wetterau seit einem Jahr in Nidda und in Friedberg an. Etwa sechs Personen treffen sich um einen Tisch in einem Gruppenraum. Anfangs stellen alle sich vor. Regelmäßig Teilnehmende schildern, was seit dem letzten Treffen bei ihnen passiert ist. Dann geht es schon los – lebhaft setzt ein großes Redebedürfnis ein. Stöckers Hilfe im Gesprächskreis besteht in der Moderation und fachlichen Informationen zur Erkrankung, zum Beispiel über die verschiedenen ambulanten Entlastungsangebote. Stöcker sagt, im Gesprächskreis gelte: „Alles kann, nichts muss.“ Man könne auch in der Runde sein und nur zuhören. Es mache auf jeden Fall Sinn, einen Einstieg zu finden, auch ohne gleich sein Herz ganz auszuschütten. Hilfreich sei stets die eigene Erkenntnis, nicht allein das Problem zu haben.  Am Ende des Gesprächs erzählt man sich noch, welches gute oder lustige Erlebnis man mit der erkrankten Person zu Haus hatte und so findet das Treffen einen positiven Ausklang.

 

Ursula Meyer aus Bad Nauheim wurde auf den Gesprächskreis aufmerksam durch die Zeitungsmeldung in der WZ – diese erschien für sie genau im richtigen Moment. „Mir war mein Problem zu Hause bewusst und ich dachte – ich probiere es mal, es ist ja keine Schande.“ Sie besuchte die Gruppe in Friedberg im März 2017 zum ersten Mal und danach regelmäßig, häufig gemeinsam mit ihrer Tochter.

 

Ursula Meyers Ehemann  hatte zu Beginn seiner Erkrankung nur ganz kleine Krankheitszeichen, die nicht auffielen, die er gut kaschierte. Nach der Operation eines Oberschenkelhalsbruchs wurde es dann deutlicher, die Demenz wurde sichtbar. Ihm gelang beispielsweise die PC-Bedienung nicht mehr und er wusste auch bei anderen elektrischen Geräten nicht mehr, wie sie funktionieren. Karin Stöcker bestätigt: „Das ist häufig so. Oft fällt erst nach Krankenhausaufenthalten auf, dass bei einem Menschen Handlungs- und Erkennungsstörungen vorhanden sind, die sich dann zu Hause im Alltag zeigen. Was vorher ging, geht nicht mehr. Der Mensch fühlt sich überfordert und möchte nicht, dass andere diese Überforderungen bemerken, weil sie ihm peinlich sind.“

 

Meyer versuchte, mit ihrem Ehemann über die Anzeichen seiner Demenz zu sprechen. Er lehnte dies ab. Wenn ihm Fehler passierten, habe er diese abgetan und mit Floskeln überspielt. Den Alltag mit ihm konnte sie trotzdem lange gut bewältigen. Ganz schwer erträglich  wurde es für sie, als ihr Ehemann sie nicht mehr erkannte. Er sagte beispielsweise zu ihr: „Sie können jetzt zurück ins Hotel gehen, meine Frau kommt gleich“ oder  „Wir essen noch nicht – meine Frau ist noch nicht da.“ Ursula Meyer hat sich über die Demenz belesen, hatte Rückenstärkung durch ihre Tochter und deren Familie und ist zum Gesprächskreis gegangen. Denn sie erkannte: „Man muss die Krankheit außerhalb zum Thema machen, um nicht selbst restlos verrückt zu werden.“

 

Beim ersten Gruppenbesuch hatte sie gleich das Gefühl: „Es passt -  mit diesen Leuten kann ich sprechen.“ Es war für sie problemlos, in der Gruppe über die private Situation zu sprechen. Als einmal der Satz fiel: „Manchmal weiß ich vor Wut nicht, wohin“ nickten viele in der Runde wissend und verständnisvoll. Bei den gegenseitigen Erzählungen wird klar, dass man nicht allein ist, dass viele Menschen Gleiches erleben und dass man es nicht mit sich selbst ausmachen muss. Außerdem gab es manchmal Trost bei dem Gedanken, dass es, im Vergleich zu anderen, zu Hause noch halbwegs geht. Durch die Gruppenbesuche spürte Ursula Meyer Änderungen bei sich: Es ist ihr ein bisschen leichter gefallen, gelassen zu sein und sich weniger aufzuregen. Das bedeutete ihr eine enorme Hilfe.

 

Das Leben mit einem Partner, der an Demenz erkrankt ist, fordert von den Angehörigen eine optimale Organisation. Die Enkelkinder, die Tochter und die Nachbarin haben Ursula Meyers Ehemann betreut, so dass sie zwei Stunden für das Gruppentreffen frei hatte.

 

„Für Angehörige ist es von großer Bedeutung, sich um Entlastung zu bemühen und sie sich tatsächlich zu nehmen“, betont Karin Stöcker und gibt einen Tipp: „Das geht ganz praktisch, in dem man ein Hilfeangebot von Bekannten sofort annimmt  und geradewegs einen Termin festhält.“

 

Ursula Meyer appelliert nach ihren Erfahrungen an alle Angehörigen von Menschen mit Demenz, sich selbst den Gefallen zu tun und über ihre Erlebnisse und Probleme zu reden, denn dadurch würde es leichter. Sie versuchte, Bekannte zum Mitgehen zum Gesprächskreis zu  motivieren. „Aber es gibt bei den Menschen leider eine Hemmschwelle, ein Gesprächsangebot anzunehmen und über das Private und Persönliche zu sprechen. Als wäre da in den Köpfen die Sorge sich eine Blöße zu geben, wenn man diese Problematik zu Hause hat“, beschreibt Meyer die Reaktionen. Doch das sei schade und unnötig,  denn sie sei fest von der positiven Wirkung überzeugt, die das Sprechen und Zuhören für die Menschen habe.

 

INFO:

 Den kostenlosen, offenen Gesprächskreis für Angehörige von Menschen mit Demenz gibt es Nidda und in Friedberg. Die nächsten Treffen sind:

 

In Friedberg am 26.02., 26.03., 28.05. und weitere an jedem vierten Montag im Monat im Haus der Diakonie, Saarstr. 55, von 16:00 bis 17:30 Uhr.

 

In Nidda am 12.02., 12.03., 14.05. und weitere Termine an jedem zweiten Montag im Monat im Haus der Kirche und Diakonie, Bahnhofstr. 26, von 16:00 bis 17:30.

 

Für die Anmeldung und für Auskünfte können Interessierte unter der Rufnummer 06043/ 9640-225 und -226 mit Karin Stöcker oder mit Birgit Hofmann von der DDLW  sprechen.