ZEITGESCHICHTE: Dauerausstellung zeigt Konfirmationsbilder von 1909 bis 1999 / Götz Emmrich leistet bemerkenswerte Arbeit
(ECKARTSHAUSEN/co) - Konfirmationsbilder von 1909 bis 1999, die fast jeden Jahrgang zeigen, erzählen in der evangelischen Kirche in Eckartshausen Geschichten vieler Generationen. Die Aufnahmen dokumentieren Zeitgeschichte und Veränderungen im 20. Jahrhundert in dem oberhessischen Dorf, das seit 1972 zu Büdingen gehört. Gesammelt, zusammengestellt und digital bearbeitet hat sie Götz Emmrich. Albert Schwarzbach und Willibald Hengster standen ihm mit Rat und Tat zur Seite.
Was 2015 anlässlich des 750-jährigen Bestehens des Dorfes als Provisorium begann, ist jetzt während eines Gottesdienstes mit Pfarrer Oliver Mohn als Dauerausstellung offiziell eröffnet worden. „Als ich vor zwei Jahren mit meiner Befestigungskordel und den Fotos von 50 Jahrgängen, aufgezogen auf Pappe, hierher kam, habe ich mir nie träumen lassen, dass wir einmal eine Dauerausstellung daraus machen würden“, gestand Götz Emmrich nach der Eröffnung. Damals traf die Schau schon auf eine enorme Resonanz. Einige Gäste fanden sich und ihren Jahrgang nicht, überlegten aber: „Ich habe noch mein Konfirmationsbild daheim und das vom Opa ist noch im Koffer auf dem Dachboden“, erzählte Emmrich. Auf diese Weise und über einen Aufruf an die Eckartshäuser, zuhause zu suchen, kamen noch 30 weitere Jahrgänge dazu, sodass jetzt 80 Jahrgänge des 20. Jahrhunderts in der Kirche vereint sind. „Uns fehlen noch 20, bitte sucht und kramt daheim, wir würden gern die 100 Jahre vollzählig bekommen“, baten Götz Emmrich und Oliver Mohn die Gemeinde.
In einem Gespräch während des Gottesdienstes zwischen den Männern berichtete Emmrich, dass er seit 28 Jahren die Konfirmationsbilder sammelt. Mohn machte deutlich: „Das sind nicht einfach Bilder, da sind Lebensgeschichten dokumentiert.“ Ihm – und vielen jungen Konfirmanden der vergangenen Jahre, die die Fotos gesehen haben – ist deutlich geworden, „wie viele Menschen hier in dieser Kirche geglaubt, gehofft und gebetet haben“. Der Pfarrer hob hervor: „Die Fotos sind wie Bilderbücher, die aufgehen und jede Menge Erinnerungen wecken. Sie öffnen sich wie Fenster, die sich mit Leben und Geschichten füllen, aus dem eigenen Leben, der Eltern und Großeltern und setzen ganz viel in Bewegung.“
Die Menschen suchen die Fotos ihres Jahrgangs, das Bild des Vaters, der Mutter, andere entdecken die Großeltern, wie sie früher ausgesehen haben, als junge Erwachsene an der Schwelle zum Berufsleben. Oder es heißt: „Das war die Mini-Zeit, da konnten die Kleidchen nicht kurz genug sein. Was hat meine Oma geschimpft.“ Die Bilder regen zu intensiven Gesprächen an.
Die 80 Konfirmandenbilder stellen gleichzeitig ein Geschichts- und Sittengemälde des 20. Jahrhunderts dar. Kleider- und Frisurenmoden sind abgebildet. Waren die Kleider 1909 noch weiß oder hellgrau, lang und hochgeschlossen, so war von 1914 bis Ende der 1960er Jahre durchgängig schwarz angesagt. Dann kamen weiße Kragen und Blusen ins Spiel. In den 1950er Jahren waren die Kleider der jungen Mädchen wadenlang, 1960 gaben die ersten Petticoats den Röcken Volumen, Rock’n’ Roll wirkte bis in die Kirche. Waren 1963 die Knie der Mädels noch voll bedeckt, lugten 1964 die ersten freien Knie unter den Kleidern hervor. 1967 rückte der Saum bei allen Mädels kurz oberhalb des Knies, aber 1968 hatte der Mini auch die Konfirmationskleider erobert. In den folgenden Jahren bis Mitte der 1970er zeigten die Mädels viel Bein. 1972 tauchte der erste Hosenanzug auf, 1973 gab es den ersten langhaarigen Konfirmand.
Auch in der armen Zeit des Ersten und Zweiten Weltkriegs und den Jahren danach fand sich stets jemand, der die Konfirmanden abgelichtet hat. Waren es bis in die 1950er Jahre sehr viele Jungen und Mädchen, sind es in den 1960ern weniger geworden. „Der Pillenknick lässt grüßen“, meinte Götz Emmrich augenzwinkernd. Er hat in jahrelanger akribischer Kleinarbeit alle Namen der abgebildeten Jugendlichen der 80 Jahrgänge zusammengetragen, hat seinen alten Onkel und viele ältere Leute gefragt, ob und wen sie noch kennen oder „an den Scherben erkennen“. In den Kirchenbüchern konnte er die verbleibenden Namen finden. Wenn er wieder einmal ein Foto bekam, „war das immer mit vielen Erinnerungen und Geschichten verbunden, die der Überbringer mitbrachte“, berichtete Emmrich.
Als die provisorische Ausstellung, die vor zwei Jahren eigentlich nur für das Dorfjubiläum gedacht war, immer wieder verlängert und etliche Jahrgangslücken gefüllt worden sind, wollte Pfarrer Oliver Mohn Nägel mit Köpfen machen: Die Bilder sollten in einer Dauerausstellung würdig präsentiert werden. „Das hieß aber in entsprechenden Rahmen und in Glas, das die Bilder vor UV-Licht schützt und entspiegelt ist“, so Emmrich. Der Kirchenvorstand gab seine Zustimmung. Zur Finanzierung der Rahmung trugen ein Überschuss des Jubiläums, kirchliche Gelder und Spenden bei. Willibald Hengster brachte Holzleisten an und lackierte sie, daran befestigten die Männer die Fotos.
In Eckartshausen ist so ein Zeitdokument des 20. Jahrhunderts entstanden, das seinesgleichen sucht und Soziologie- oder Geschichtsstudenten jede Menge Material für ihre Forschungen für eine Bachelor- oder Masterarbeit bietet.