Quelle: Kreis-Anzeiger – 13.06.2018
(LISSBERG/em) - "Dies ist das größte Ereignis in meinen 30 Jahren Pfarrdienst. Vor 400 Jahren wurde hier eine der ersten evangelischen Kirchen Oberhessens gebaut, sie wurde für viele zum Ort der Besinnung, der Gemeinschaft, des Trostes." So begann Pfarrer Kurt Walter Racky den Festgottesdienst zum Kirchenjubiläum, in dem er zugleich in den Ruhestand verabschiedet wurde. Viele Gemeindeglieder, aber auch Weggefährten Rackys aus Kirche, Musikwelt und Geschichtsforschung waren gekommen.
Der Lißberger Singkreis, von Racky fast drei Jahrzehnte lang geleitet, sang Rudolf Mauersbergers siebenstimmige Motette "Wie liegt die Stadt so wüst" und ein zwölfstimmiges Halleluja des zeitgenössischen Komponisten Shawn Kirchner. Der Projektchor, ebenfalls von Racky geleitet, hatte den vierstimmigen Chorsatz "Freuet euch der schönen Erden" gewählt, das Sopransolo übernahm Frida Fronmüller. Den Gemeindegesang begleitete Celia Back an der Orgel.
Die Festpredigt über Worte aus dem zweiten Epheserbrief hielt der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau Dr. Volker Jung. Die verkündete Botschaft des "Friedens für die Fernen und Nahen" sei schon während der Bauzeit der Kirche 1618/19 durch den 30 Jahre dauernden "Krieg zwischen Christen" übertönt worden, meinte der Kirchenpräsident. Er sprach weitere Kriege an, unter denen Lißberg litt, und mahnte zur "Hochschätzung, dass wir in Frieden miteinander feiern können." Der Kirchenpräsident hatte sich mit der hervorragenden Festschrift in die Geschichte der Lißberger Kirchengemeinde eingelesen, erinnerte an vergangene Nachbarschaftskonflikte mit Schwickartshausen, an Streit, ja Raufereien um die Kirchenstühle, und verband dies mit einer heiter-nachdenklichen Betrachtung zum "Frieden im Alltag", die bei den Zuhörenden gut ankam. Ebenso erinnerte er an das inzwischen erreichte friedliche Miteinander der Konfessionen. Scharf verurteilte er die wachsenden Übergriffe gegen jüdische Mitbürger und wandte sich dagegen, bei aller berechtigten Empörung über die Ermordung der 14-jährigen in Wiesbaden, ganze Gruppen pauschal zu verurteilen und das Verbrechen politisch auszuschlachten. Abschließend zitierte er die Inschrift auf einer der Lißberger Glocken: "Wir läuten die Liebe, die Hoffnung, den Glauben/ Mag keine Macht uns den Frieden rauben."
Dann wandte sich der Kirchenpräsident zur Verabschiedung an Pfarrer Racky, schilderte kurz dessen Berufsbiografie und sprach mit Anerkennung über die Schwerpunkte in Rackys Arbeit. Dem Verlesen der kirchlichen Entpflichtungsurkunde schlossen sich Gebet und Segnung durch den Kirchenpräsidenten wie auch durch die ehemaligen stellvertretenden Kirchenvorstandsvorsitzenden Eduard Heß, Erwin Kraft und Hans-Jürgen Czech an. Auch Dekanin Sabine Bertram-Schäfer erinnerte an die Geschichte der Kirchengemeinde, den 26-jährigen Einsatz von Elsa Schütze, dem Neubeginn mit Pfarrer Racky und seiner Frau Leonie. Sie erinnerte an Rackys Chor- und Museumsleiteraktivitäten, seinen Beitrag zur Bonifatiusroute, seinen Seelsorge-Dienst in der Onkologischen Klinik Bad Salzhausen und in der Lißberger Kirchengemeinde. Die Dekanin dankte Leonie Racky für den Dienst als Gemeindesekretärin und die liebevolle Gestaltung des "schönsten Pfarrgartens weit und breit" und freute sich, dass die Vakanz in Lißberg bereits am 1. Juli durch die Übernahme dieser halben Pfarrstelle durch Schwickartshausens Pfarrerin Regine Jünger beendet sein wird. Gute Wünsche für den Ruhestand des Paares sprachen Hans-Jürgen Czech und der Vertreter des EKHN-Chorverbandes Markus Ziegler.
In der Burghalle und im Zelt war alles für das Mittagessen bereitgestellt worden und viele folgten der Einladung. Es sang noch einmal der Projektchor, der älteste Bürger Lißbergs, der 97-jährige Rudolf Betz, spielte Mundharmonika, seine Betreuerin Akkordeon. Ebenso traten die Lißberger Leierleut auf. Historiker Christian Vogel gab einen kurzen Abriss der Kirchengeschichte.
Deutlich wurde das große Interesse an Lißbergs Vergangenheit. Mehrere Publikationen zur Orts- und Kirchengeschichte lagen aus. Sie waren zum großen Teil von geschichtsinteressierten Einwohnern im Dialog mit Fachleuten verfasst und von der Kirchengemeinde herausgegeben worden. Jüngste Veröffentlichung ist die Festschrift zum Kirchenjubiläum "Wie Lißberg eine Pfarrei wurde", verfasst von Rudolf Beck und Manfred Redling. Grußworte sprachen Bürgermeisterin Ulrike Pfeiffer-Pantring, Dr. Alexander Herzog (Onkologische Fachklinik Bad Salzhausen) und Pfarrerin Regine Jünger. Ein Fazit zog Kurt Walter Racky in seiner Abschiedsrede: "Wenn man die Lißberger von etwas überzeugt hat, sind sie sehr, sehr hilfsbereit."