Von Elfriede Maresch
(NIDDA/em) - Nicht jede Stadt von der Größe Niddas hat ein so vielfältiges Musikleben. Ein Schwerpunkt ist in der evangelischen Kirchengemeinde Nidda mit ihrer hauptamtlichen Kirchenmusikerstelle verankert. Als Glücksfall ist es zu sehen, dass mit Christian Richter, Daniela Brinkmann und jetzt mit Anja Katrin Krauße ebenso qualifizierte wie ideenreiche Kräfte hier tätig waren und sind. Richter regte schon 2001 die Gründung des Vereins „Freundeskreis für Kirchenmusik an der Stadtkirche Nidda“ an. Mit derzeit 61 Mitgliedern ist dies eine kleine, aber sehr aktive Gruppe. Aber: „Mit einem wachsenden Mitgliederkreis könnten wir noch weit mehr Bewegung in Niddas Musikleben einbringen“, sagt Axel Kaiser, der Vereinsvorsitzende. Zusammen mit seiner Stellvertreterin Edith Hössl und Dekanatskantorin Anja Katrin Krauße stellte er im Gespräch mit unserer Zeitung Arbeit und Pläne des Freundeskreises vor. Deutlich wurden dabei die weitreichenden Initiativen über die Kirchengemeinde hinaus und die produktive Zusammenarbeit mit anderen musizierenden Gruppen innerhalb der Großgemeinde.
Alle drei haben Sie eine besondere persönliche Beziehung zur Musik?
Kaiser: Ich spiele von Jugend an Geige, in der Schulzeit im damaligen Schulorchester am Gymnasium und jetzt wieder im Ensemble „Musica Nidda“, das von Christina Merkel-Pavone geleitet wird. Ebenso bin ich Mitglied des Kirchenchores. Außerdem bin ich meiner Heimatstadt Nidda sehr verbunden. Mit dem Ende meiner aktiven Berufstätigkeit habe ich mich hier wieder ehrenamtlich engagiert. Zeitweise war das im Verschwisterungsverein und nun an der Spitze des Freundeskreises für Kirchenmusik und im Verein Musica Nidda.
Hössl: Ich war Jahrzehnte lang Lehrerin am hiesigen Gymnasium mit dem Schwerpunkt Musik. Was Kinder und Jugendliche durch Chorsingen oder Spielen eines Instrumentes für ihre persönliche Entwicklung gewinnen, habe ich wieder und wieder erlebt. So macht es mir Freude, mit unserem Verein die musikpädagogische Arbeit der Kirchengemeinde zu unterstützen. Und auf das eigene Chorsingen möchte ich einfach nicht verzichten.
Krauße: Die Freude am Chorleiter- und Organisten-Amt, die Begeisterung für die Musik Johann Sebastian Bachs motivierten mich, die Kirchenmusik als Lebensberuf zu wählen. Nach dem Studium in Halle/Saale und Leipzig, dem Orgelstudium in Köln war ich in Pößneck, im Kirchenkreis Berka und ab 2012 im Dekanat Alsfeld. Seit 2015 bin ich in Nidda tätig. Mit verschiedenen Chören und Ensembles habe ich Werke aus mehreren Epochen erarbeitet und aufgeführt, Konzertreihen organisiert, Chorleiter und Organisten im Ehrenamt ausgebildet. Die Mitgestaltung der Gottesdienste als „Verkündigung in Tönen“ liegt mir ebenso am Herzen wie die musikpädagogische Arbeit in der Kirchengemeinde.
Impulse über die Kirchengemeinde hinaus – was kann Ihr zahlenmäßig kleiner Verein da tun?
Kaiser: Wir unterstützen zum Beispiel auch die Kinderchöre in der Gemeinde.
Hössl: Für die Reihe „Nidda in Concert“, die jetzt im 19. Jahr besteht, ist unsere Unterstützung wichtig. Das Programm zieht ein Publikum an, das von weit jenseits der Großgemeinde-Grenzen kommt. Möglich ist das nur mit Unterstützung mehrerer Sponsoren, der evangelischen und der katholischen Kirchengemeinde Nidda, der VR-Bank Main-Kinzig-Büdingen, der Stadt und der unseres Freundeskreises.
Krauße: Erfreulicherweise fragen oft prominente Künstler an, die von „Nidda in Concert“ gehört haben und gern hier auftreten möchten, oder die schon einmal hier waren. Pro Jahr kommt mindestens ein Ausnahmemusiker oder -ensemble zu uns!
Ist die finanzielle Unterstützung der Projekte die Hauptaufgabe des Freundeskreises?
Kaiser: Unser organisatorischer Beitrag ist genauso wichtig. Wir übernehmen oft die Betreuung und Bewirtung der Künstler, haben etwa bei den Auftritten des Kinderchores der Dresdner Philharmonie die Übernachtung bei privaten Gastgebern der Stadt organisiert. Bei Konzerten an besonderen Plätzen wie im Steinbruch Michelnau helfen wir, Bühne und Bänke aufzustellen, weisen die parkenden Autos ein, bieten Getränke und Snacks an und räumen hinterher auf. Unsere Pausenbewirtung bei allen Konzerten der Reihe kommt gut an, ergänzt zum kulturellen Genuss ein gastliches Element. Alle Erlöse fließen direkt in die Projekte ein, die wir unterstützen.
Hössl: Immer wollen wir unseren Zuhörern, unseren Spendern „Kultur mit hohem Erlebniswert“ bieten. So haben Karlheinz und Renate Schaumburg zehn Jahre lang unter dem Motto „Bücher für die Orgel“ Buchspenden gesammelt, nach Themen sortiert und in Bad Salzhausen als antiquarischem Markt zu geringen Preisen angeboten. Der Büchermarkt war an manchen Sonntagen ein Magnet in Bad Salzhausen, Besucher haben das Stöbern in den Bücherkisten genossen. Insgesamt über 28 000 Euro hat die Aktion für das Orgelkonto eingebracht.
Sie sprechen von „Kultur mit hohem Erlebniswert“...
Kaiser: Ich denke dabei an „Nidda in Concert“, zum Beispiel die Bläserkonzerte im Michelnauer Steinbruch, 2013 mit dem Norddeutschen Blechbläsercollegium, 2017 mit „Phil-Quintetto“ Gießen, beides Mal zwischen den hohen Felswänden von ganz besonderer Klangqualität. Begeisterter Beifall folgte. Das Organisationsteam ging durch einige Lampenfieber-Tage: vorher wechselhaftes Wetter, beschwörender Blick auf die Vorhersage, und dann doch Sonnenschein...
Hössl: Für mich gehören die jungen Stimmen des Dresdener Philharmonischen Kinderchores mit seinem Leiter Professor Gunter Berger zu den schönsten Erinnerungen. Alte Musik stand ebenso auf dem Programm wie moderne Chorelemente: Summen, Sprechgesang, eigenwillige Rhythmen. Und eine kleine folgende Vernetzung: Wir waren dann bei einer der jungen Sängerinnen eingeladen und bekamen eine ganz persönliche Stadtführung durch Weimar.
Kaiser: Zu „Nidda in Concert“ kamen herausragende, preisgekrönte Vokalgruppen, kleine wie große, zum Beispiel das Sextett „Amarcord“ aus Leipzig 2016, oder „Chanticleer“ aus Kalifornien 2015. Dazu meisterliche Instrumentalensembles wie die „Soirée française“ von „Les sons choissis“ 2011 auf teils barocken Original-, teils Nachbauinstrumenten in feiner Obertönigkeit oder „Trio tomba“ mit Trompetenmusik von Bach bis Gershwin 2014.
Auch „vergessene“ oder innovative Musik?
Hössl: Innovation genug! Bei einem Improvisationskonzert bewegten sich der Schlagzeuger Olaf Pyras und der Organist Holger Brandt mit Stimme, Vibraphonen, Schlagzeug, Gongs, Klavier und selbst auf drei Basaltstelen zwischen Klang und Melodie. Das war 2008 – und ich habe es bis heute nicht vergessen. Eindrucksvoll war 2011 das Seminar mit dem Obertonsänger Reinhard Schimmelpfeng „Töne aus Licht“. Mit Schimmelpfeng gaben wir anschließend als Dekanatskantorei ein Obertonkonzert in der Stadtkirche – recht anspruchsvoll für uns Chorsänger und -sängerinnen. Die „Twiolins“ als virtuoses Geigenduo brachten im vergangenen November innovative Kompositionen junger Musiker, Klänge, die innere Bilder weckten. Auch fast verschollene Melodien früherer Epochen waren bei „Nidda in Concert“ zu hören. So kam 2014 das „Trio Wildwuchs“, angezogen wie mittelalterliche Vaganten, hatte Dudelsack, Drehleier, Cister, Schlüsselfiedel und Cornamuse im Gepäck und bot Musik zwischen Zärtlichkeit und Verwegenheit! Im Reformationsjahr spiegelte das „Canto corde sonore“ den „Soundtrack der Reformation“, den Wandel der Kirchenmusik und die unbefangenen Kontrafakturen dieser Epoche.
Kaiser: Und es gab hervorragende Solokonzerte, etwa mit der Harfenistin Jenny Ruppik 2013, mit dem Cellisten Ludwig Frankmar 2015.
Hössl: Und nicht zu vergessen unsere eigenen Chorkonzerte mit der Regionalkantorei, die schlichte Uppsala-Passion 2016 mit der Begleitung auf alten Instrumenten und die Reformationskantaten in diesem Jahr mit einem auf 40 Aktive erweiterte Projektchor.
Kaiser: Erinnerungen über Erinnerungen... Wir vom Freundeskreis sind stolz darauf, dass es solche Konzerte in Nidda gibt und dass wir mit unserem Verein direkt und mit unserem Vorstand und einigen Mitgliedern aktiv dazu beitragen.
Krauße: Uns ist Vernetzung wichtig, das mitreißende Konzert der Gruppe „Chanticleer“ aus San Francisco wurde zusammen mit der Reihe „Musikmomente Schotten“ organisiert. Wir haben die große eindrucksvolle „Elias“-Aufführung im September 2016 finanziell unterstützt und viele Mitglieder unserer Niddaer Regionalkantorei sangen mit.
Gibt es Kooperation der Kirchenmusik auch mit anderen musizierenden Gruppen aus Nidda?
Krauße: Wir gestalten beim Schlosshof-Singen ein Konzert von Kirchenchor und „Sängerkranz“ zusammen, hatten auch schon gemeinsame Auftritte mit „Musica Nidda“ und dem Kirchenchor. Bei den szenischen Stadtgeschichtsführungen im Rahmen des Jubiläumsjahres haben wir in der Stadtkirche die Handlung in der Reformationszeit durch unseren Gesang vertieft. Die selbstständige Gruppe Cantare hat vor Kurzem das Weihnachtskonzert in Hirzenhain mitgestaltet. Etliche Sängerinnen und Sänger singen sowohl im Kirchenchor als auch im Ensemble „Con-tact“. Umgekehrt sind wir dankbar, dass wir große Chorkonzerte in der katholischen Kirche Niddas aufführen können.
Hössl: Grundsätzlich ist die Kirchenmusik in Nidda konfessionsübergreifend. Wir sehen die Vernetzung mit anderen Gruppen als beiderseitigen Ansporn und Gewinn.
Hat Kirchenmusik Berührungsprobleme mit Unterhaltungsmusik?
Krauße: Für uns ist Musik Gotteslob und Glaubensverkündigung, aber in ihrer Fülle auch ein Geschenk, das wir dankbar genießen. Unser Repertoire reicht weit über traditionelle Choräle hinaus, wir singen auch Gospels, anderssprachige Lieder. Für Sonntag, 18. Februar, laden wir ab 15 Uhr zum Jazz-Café mit dem Michele-Alberti-Trio in das Johannes-Pistorius-Haus ein. In der Festwoche zur Einweihung der neuen Orgel wird es ernste und unterhaltsame Musik mehrerer Länder und Epochen geben.
Neujahr ist die Zeit der guten Wünsche. Was darf man dem Freundeskreis, der Kirchenmusik für die nächste Zukunft wünschen?
Krauße: Noch mehr Aktive, die sich im Chor oder mit ihrem Instrument einbringen.
Kaiser: Auch etwas mehr finanzielle Unterstützung. Mit der Schließung des Niddaer Amtsgerichts sind etliche Bußgelder weggefallen, die uns heute fehlen. Wir sind allen Spendern und unseren Mitgliedern sehr dankbar.
Hössl: Noch mehr Mitglieder im Freundeskreis aus allen Altersgruppen, vor allem auch junge Familien mit neuen Ideen, Talenten, Wünschen. Beitrittsflyer liegen in der Stadtkirche, dem Gemeindebüro und bei der Stadtverwaltung aus, oder können direkt beim Vorstand angefordert werden.