Jahresempfang der evangelischen  Dekanate Wetterau + Büdinger Land

Handeln in Balance muss Standard werden

Foto: Gert Holle
Foto: Gert Holle

14.08.2019

 

Von Annegret Rach

 

(FLORSTADT/ara) - Es war eine Premiere: Zum ersten Mal luden das Evangelische Dekanat Wetterau und das Evangelische Dekanat Büdinger Land zu einem gemeinsamen Jahresempfang in das Florstädter Bürgerhaus ein. Man wolle, so der Wetterauer Präses Tobias Utter, ein Zeichen der Zusammenarbeit und Gemeinsamkeit setzen.

 

Die Wahl des Ortes war darum Programm, die Kommune Florstadt gehört mit ihren Stadtteilen zu beiden Dekanaten. Rolf Hartmann, Vorsitzender der Synode des Dekanates Büdinger Land, betonte, dass Kirche zu den Menschen gehen und sich gesellschaftlichen Themen zuwenden müsse. „Nachhaltig verantwortet. Damit wir tun was wir für richtig halten“ lautete der Titel des Impulsreferates von Dr. Michael Kopatz, Umweltwissenschaftler am Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie und Buchautor.

 

Dekan Volkhard Guth vom Evangelischen Dekanat Wetterau griff in seiner Begrüßung aktuelle Folgen des Klimawandels auf: heiße Sommer, Wasserknappheit, Diskussion um billige Flüge. Menschen seien, philosophisch gesehen, die einzigen Wesen, die Verantwortung haben können, denn diese setzte ein Bewusstsein für Zukunft voraus. Daraus habe der Philosoph Hans Jonas gefolgert, dass wir als Menschen auch Verantwortung übernehmen müssen. Ein Handeln in Balance müsse der normale Standard werden. Man könne auch sagen: „Nicht lamentieren – machen!“

Warum fast alle Deutschen Klimaschutz wichtig finden, und dennoch fast keiner etwas dafür tut war der Ausgangspunkt des kurzweiligen Referates von Dr. Michael Kopatz. In seinem aktuellen Buch „Ökoroutine. Damit wir tun, was wir für richtig halten“, spricht er sich dafür aus, das Thema Klimaschutz aus dem Bereich individueller Gewissensentscheidungen herauszuholen. Seit acht Jahren sinke der CO2-Ausstoß Deutschlands nicht mehr weiter, im Verkehrsbereich habe er sogar zugenommen. Das zeige, dass technische Veränderungen allein nicht ausreichten, um Klimaziele zu erreichen. Zudem werde die zunehmende Effizienz im Bereich der Technik oft durch vermehrtes Wachstum aufgezehrt. Was nützte die Verringerung des Co2-Ausstoßes von Autos, wenn heute doppelt so viele Autos auf der Straße seien wie 1980? Warum sei von Wohnungsnot die Rede, wo doch die Bevölkerungszahl Deutschlands seit Jahrzehnten stagniere? Und was bedeute A++ auf einem Kühlschrank, wenn der groß wie ein Kleiderschrank sei?

 

Nachhaltigkeit brauche neben technischer Entwicklung auch Veränderung von Gewohnheiten, Routinen und Strukturen. „Es geht nicht darum, dass wir die richtigen Produkte im Laden kaufen, sondern dass die Produkte im Laden sich verändern.“

 

Beispiele für solche „Ökoroutine“ gebe es bereits: die FCKW-freien Kühlschränke sind heute Standard. Die Wärmeschutzverordnung hat den Energiebedarf von Häusern auf 10 % des Wertes von 1977 reduziert. In ähnlicher Weise könnte man auch eine Veränderung der Nahrungsmittelproduktion steuern. Die Landwirte, so Kopatz‘ Erfahrung, wären sofort dabei, wenn solche neuen Regeln EU-weit Gültigkeit hätten so dass sie nicht vom Markt abgehängt würden.

 

Ebenso sagten in einer Studie 80 % der Topmanager, dass es für eine nachhaltige Wirtschaft Vorgaben der Politik brauche.

 

Neue Standards, so der Umweltwissenschaftler, reichten jedoch nicht aus – es brauche auch neue Limits. Er plädiert dafür, den Flugverkehr auf dem aktuellen Niveau einzufrieren. „Ich werbe für Unterlassung: keine neue Startbahn in München, kein neues Terminal in Frankfurt.“ Gleiches gelte für den Straßenbau: Solange sich die Produktion einer Tiefkühl-Lasagne auf 20 Länder verteile, löse der Bau neuer Straßen keine Probleme. Allein seit 2002 habe sich die Staulänge in Deutschland vervierfacht.

 

Doch das Thema „Limits“ werde in Deutschland gar nicht diskutiert. Auch seien solche Begrenzungen nur durchzusetzen, wenn alle mitmachten, und genau da sei die Politik gefragt. Konsumverhalten, so die Überzeugung des Referenten, sei nur in der Theorie ein politisches Verhalten. Gesamtgesellschaftlich bewirke es zuwenig. „Klare Ziele für ein CO2-Limit sind verlässlicher als eine CO2-Steuer.“

 

All denen, die an dieser Stelle von einem Eingriff in die persönliche Freiheit sprechen, hält Kopatz entgegen: „Die ganze Straßenverkehrsordnung ist ein Eingriff in die Freiheitsrechte!“ Und doch stehe außer Frage, dass es sinnvoll sei, sich anzuschnallen und bei Rot zu halten.

 

Kopatz wirbt auch dafür, den Menschen positive Bilder zu zeigen von dem, was möglich wäre. „Darum geht es: dass das Richtige zu tun sich clever anfühlt!“

 

„Engagiert, klar und deutlich gesagt“ nannte in ihrem Dank die Büdinger Dekanin Sabine Bertram-Schäfer die Worte von Dr. Kopatz. Viel Stoff für Diskussion in den anschließenden Gesprächsrunden, zu denen rund hundert Gäste aus Politik, Kirche und gesellschaftlichen Institutionen der Region gekommen waren. Für stimmungsvollen Hintergrund sorgten Pianist Shanaka Perera und Saxofonist Ron Faust von der Jazzpopformation „pianoplus“ aus Bad Nauheim.