Quelle: Kreis-Anzeiger 25.02.2017
GEBURTSTAG: Durchschnittsalter der Mitglieder liegt bei 17 Jahren: Der mit Abstand jüngste Posaunenchor der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau kommt aus Schotten
(SCHOTTEN/em) - Der evangelische Posaunenchor Schotten spielt in Gottesdiensten, auf dem Schötter Weihnachtsmarkt, bei der Musikalischen Lichterfeiern in der Liebfrauenkirche und gibt pro Jahr mindestens ein großes Konzert. Der Chor hat zwei Alleinstellungsmerkmale: Er ist mit einem Durchschnittsalter der Mitglieder von 17 Jahren mit Abstand der jüngste Posaunenchor der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau (EKHN) und er feiert in diesem Jahr zehnten Geburtstag. Dr. Johannes Brumhard, Gründer und Leiter des Chores: „In den zehn Jahren des Bestehens haben hundert Kinder und Jugendliche kürzer oder länger hier musiziert.“ Der Kreis-Anzeiger hatte Gelegenheit, mit Brumhard zu sprechen.
Sie haben schon als Kind Trompete im Ensemble gespielt. Wie kam der frühe Einstieg zustande?
Ich war bläserinfiziert durch meinen Vater Helmuth Brumhard. Er war Pfarrer in Hungen-Rodheim, ich bin mit sieben Geschwistern dort aufgewachsen. Bei vielen alten Ortsbürgern sind wir immer noch „die Kinner vom Gäulsparrer“. Reitangebote, ein Posaunen- und ein Gitarrenchor waren Elemente seiner Gemeindearbeit. Mehrere meiner Geschwister spielten dort, ebenso Freunde aus dem Dorf. Es war selbstverständlich, dass ich mitmachte.
Das ist über 40 Jahre her. Haben sich Posaunenchöre seither geändert?
Dazwischen liegen Welten! Die Posaunenchöre von damals spielten in Gottesdiensten, auf Ständchen, bei Gemeindenachmittagen. Das Repertoire bestand aus Chorälen und Volksliedern – sonst nichts. Fünf Jahre kannte ich keine andere Literatur als einfache Sätze vom „Gelben Zettel“ des Landesposaunenwarts Horst Wetzlar, dazu gab es das „Lob Gott 2“ vom Posaunenwerk und den „Kuhlo I“. Ich habe ein schlecht stimmendes Flügelhorn in der zweiten Stimme gespielt, neben mir saßen Menschen mit ebenfalls schlecht stimmenden Trompeten und Kuhlo-Hörnern. Wir spielten hauptsächlich B-Tonarten, alles andere galt als schwierig.
Und heute?
Heute erarbeiten sich Posaunenchöre ein viel breiteres Repertoire, besonders in der Jugendarbeit. Es besteht mehr Konkurrenz durch Freizeitangebote, durch elektronische Medien. Die Kinder sind kritischer geworden, sie wollen Aktuelles aus den Charts, Pop, Filmmusik spielen. Bis dahin ist natürlich ein weiter Lernweg, auf dem sie gute Begleitung brauchen und bei Durststrecken motiviert werden müssen. Aber ich empfinde die Bläserarbeit von heute frischer, vitaler als damals.
Waren Sie auch im Studium und danach aktiver Bläser?
Ich habe im Posaunenchor der Evangelischen Studentengemeinde Hannover gespielt. Dann kam die erste Berufstätigkeit, die Familiengründung, der Aufbau unserer Tierarztpraxis, da blieb keine Zeit zum Spielen.
Wie kam es dann zur Gründung des Schottener Posaunenchores?
2006 sprach mich der damalige Dekanatskantor Michael Merkel an, er empfand eine „Bläserlücke“ in der Schottener Kirchenmusik. Ich hatte Lust, wieder einzusteigen, besuchte einen Jungbläserlehrgang des Landesposaunenwerks, lernte den für Oberhessen und Nordnassau zuständigen Landesposaunenwart, Albert Wanner, kennen, der ein guter Begleiter unseres Chores geworden ist. Dann suchten wir Motivierte, teilten Flyer aus, gingen in die Grundschulen Schotten und Rainrod, durch alle Klassen. Wir hatten Instrumente dabei, jedes Kind konnte das Blasen ausprobieren, und tatsächlich meldeten sich 25 Buben und Mädchen zwischen sechs und zehn Jahren an.
Und dann ging es los?
Nein, es war eine echte Pioniersituation: 25 Motivierte und kein Instrument. Aber wir bekamen Unterstützung von Kirchengemeinde, Dekanat, Stadt Schotten, dem Förderverein Kirchenmusik: Benachbarte Bläserchöre halfen, und wir konnten mit einem Grundbestand passabler Instrumente starten.
Aller Anfang ist schwer...
Und bei uns auch: Atemtechnik, Tonerzeugung, Spielen von Tonfolgen – das klappt nicht auf Anhieb. Aber es war richtig, auf den Umweg Blockflötenspiel zu verzichten, gleich an die Wunschinstrumente zu gehen. Auch die „Ernstfallsituation Konzert“ hat die Kinder weitergebracht. Wanner kam mit Brass-on, dem Auswahlensemble der Bezirke Oberhessen und Nord Nassau. Wir wählten ganz einfache Sätze, mit denen die Kinder das anspruchsvolle Spiel der Großen begleiteten. Sie bekamen das Gefühl: „Wir können bei richtiger Musik mitmachen, bekommen Applaus“ – das gab einen Motivationsschub. Tapfer kämpften wir uns durch zwei Solostücke: „Summ, summ, summ“ und „Ist ein Mann in Brunn gefallen“. Wir hatten alle Lampenfieber, ich habe mich bei meinem Dirigenten-Debüt gefühlt wie eine Windmühle auf Ecstasy. Was die Kinder herausbrachten, war mehr Geräusch als Ton. Es war herrlich, ein Jahr später dieselben Stücke zu spielen, wortlos zu zeigen: Wir sind weitergekommen.
Manche Jugendlichen spielen seit zehn Jahren kontinuierlich mit...
Wir können inzwischen aus eigener Kraft Konzerte gestalten. Alle zwei Jahre gehen wir auf Werbung durch die Schulen. Mitmachen im Posaunenchor gilt inzwischen als cool. Als Chor haben wir inzwischen an 34 Jungbläserfreizeiten des Posaunenwerks teilgenommen. Die Stimmung unter Jugendlichen aus ganz Hessen ist gut, Wanner und seine Kollegen haben ein anspruchsvolles stufenweises Ausbildungskonzept entwickelt. Sehr gute Bläserinnen und Bläser können im Auswahlchor Junior Brass mitspielen und konzertieren. Ich bin stolz darauf, dass acht von 35 Junior Brass-Aktiven aus dem Posaunenchor Schotten kommen.
Können Talentierte noch mehr machen?
Die nächste Stufe sind die Chorleiterlehrgänge mit Wanner und seinem Kollegen Frank Vogel. Dort werden Musiktheorie, Instrumentenkunde, anspruchsvolle Spieltechniken, Erweiterung des Repertoires geboten, vor allem aber Einführung in das Dirigieren. Nach einer Prüfung schließen die Lehrgänge mit dem D-Schein ab. Zwei Mitglieder aus unserem Chor haben diesen bereits erfolgreich absolviert und dirigieren Stücke in den Junior Brass-Konzerten, zwei andere Jugendliche sind gerade mitten im Lehrgang.
Was spielen die jungen Bläser Ihres Chores am liebsten?
Filmmusik steht ganz oben. Das „Fluch der Karibik“-Medley, Melodien aus „Star Trek“, aus den James Bond- oder den Harry Potter-Filmen, Jazz Standards...
Durch eine chronische Erkrankung sind Sie körperlich eingeschränkt. Trotzdem fangen Sie alle zwei Jahre die Bläserausbildung mit Neueinsteigern an, stellen sich dem Auf und Ab der Chorarbeit – warum?
Die Proben, die Konzertvorbereitung kosten mich viel Kraft, aber ich bekomme mehr zurück, als ich hineingebe. Eine Jugendliche hat neulich beim Eichelsdorfer Konzert gesagt: „Wir sind eine gute Gemeinschaft, weil wir all’ die Musik lieben“ – das ist der Punkt.
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