Quelle: Kreis-Anzeiger - 28.03.2017
MUSIKMOMENTE: Dekanatskantor Kiwon Lee und Sergej Walter geben „Klassisch und rockig“
(SCHOTTEN/em) - Knapp 90 Zuhörer kamen zum „Orgelhighlights“-Konzert in der Liebfrauenkirche, einem Anziehungspunkt der Reihe Musikmomente. Diesmal war die Besetzung so ungewöhnlich wie das Motto „Klassisch und rockig“: Dekanatskantor Kiwon Lee an der Wegmann-Orgel hatte den Geiger Sergej Walter als Partner gewonnen. Er hat in Kishinev/Moldawien und Moskau Musik studiert, kam 1990 mit seiner Familie nach Deutschland, ist seither als Musikpädagoge tätig, spielt im „Collegium Kottmann Instrumentale“ Klassisches, in einer 80er Jahre-Band Rock-Titel und in seinem Schottener Quartett „Blackfade“ Eigenkompositionen.
Den Klassikteil des Konzerts begannen Lee und Walter mit der Violinsonate in D-Dur opus 1 von Georg Friedrich Händel. Zunächst achteten viele Zuhörer beim weichen Adagio eher auf die Geige. Walters Instrument aus dem französischen Haus Sylvestre & Maucotel hat einen wunderbar subtilen Klang, beeindruckend auch in den Tremoli des verspielten Allegro, dem rezitativischen Larghetto, dem lebhaften Schluss-Allegro mit seinen Vorschlägen und Verzierungen. Wohl ist die Orgel hier eigentlich als basso continuo-Instrument gedacht. Doch ihr Part wurde im bezifferten Bass geschrieben und der meisterliche Organist Lee nutzte den Interpretationsspielraum, um durch einfühlsame Registrierung der Orgel eine eigenständige Rolle zu geben und zugleich zum fein abgestimmten Klang der Sonate beizutragen.
Ein Spätwerk Johann Sebastian Bachs, die Violinsonate A-Dur folgte, eigentlich für Geige und Cembalo gedacht, von Lee mit Oboen- und Flötenregistern gespielt. Bewundernswert war die Präzision des Zusammenspiels bei den filigranen Verzierungen, die feinen Klangnuancen, zu denen sich beide Instrumentalstimmen zusammenfanden.
Der romantische Komponist Josef Rheinberger hat seine „Fünf Stücke für Violine und Orgel“ in der Art eines Violinkonzertes geschrieben, der Orgel den Orchesterpart zugewiesen. Verhaltene Schwermut prägte insbesondere Thema und Variationen des ersten Satzes, ebenso den zweiten, ausgehend vom Abendlied „Die Nacht ist kommen“ und die Elegie an vierter Stelle. Wenn auch stilisiert, so hatte die Gigue dazwischen etwas mitreißend Tänzerisches, während die abschließende Ouvertüre kreative Vielfalt zeigte: spritzige Staccati der Orgel, ein schmeichelnd liedhaftes Motiv, Passagen, die ins Dissonante spielten, einen bewundernswert vorgetragenen Prestissimo-Abschnitt der Geige und schließlich eine wuchtige Fuge der Orgel.
Hatten bis dahin beide Interpreten von der Orgelempore aus gespielt, stellten sie sich im zweiten Teil einer Herausforderung. Walter stand mit seiner E-Violine im Chorraum, Lee war nach wie vor oben, beide mussten über die Distanz des Kirchenschiffs hinweg zusammenspielen. Vielleicht ist diese Arbeitsform noch ein wenig entwicklungsbedürftig. Besucher, die in der Nähe Walters saßen, empfanden sein Spiel als laut, andere am Ende des Kirchenschiffs als recht leise. Kantiger, rockiger, vitaler als gewohnt brachten beide Bachs Toccata d-moll im Stil von Vanessa Mae. „Fluch der Karibik“-Filmmusik in Walters Bearbeitung folgte mit so viel Intensität, dass sich die Zuhörer wie auf einem Segelschiff vor dem Wind, wie zu Beginn eines Piratenkampfes fühlten. Eigenkompositionen Walters standen am Schluss: „Sommerregen“ mit lautmalerisch tropfenden Effekten der Orgel, die Aufbruchstimmung von „Freier Weg“, für eine Konfirmation komponiert, und das zärtliche „Nur mit Dir“. Antonin Dvoraks Humoreske gab es als Zugabe auf den anhaltenden Applaus hin. Was von mehreren Seiten zu hören war: „Die Balance hat gestimmt. Zwei überzeugende Musiker haben Stilrichtungen nebeneinandergestellt, Experimentelles eingebracht, vor allem: mit Leidenschaft gespielt.“