Um Macht – und Ohnmacht – drehte sich die jüngste Veranstaltung der Reihe „Talk am Turm“ im Evangelischen Dekanat Büdinger Land. Zu Gast war Dr. Volker Jung, bis Ende vergangenen Jahres Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Inzwischen lebt er im Ruhestand wieder im Vogelsberg, wo er lange als Pfarrer und Dekan tätig war.
„Kirche und Macht – passt das zusammen? Geht das überhaupt in einem Satz? “, fragte Dekanin Birgit Hamrich in ihrer Begrüßung und griff damit das Thema des Abends auf. Der gut gefüllte Johanniter-Saal des Margaretha-Pistorius-Hauses in Nidda, so Hamrich, zeige, dass „das Thema uns alle bewegt“.
Im anschließenden Gespräch mit Pfarrer i.R. Konrad Schulz beleuchtete Volker Jung verschiedene Facetten von Macht. Macht, erklärte er, finde sich nicht nur in großen Strukturen, sondern präge jede menschliche Beziehung – etwa die zwischen Eltern und Kindern. Schon die Bibel spreche dem Menschen Macht zu: Als Ebenbild Gottes solle er die Erde bebauen und bewahren. Entscheidend sei, wie man mit Macht umgehe. Je nach Umgang könne der Begriff positiv oder negativ wirken. „Es ist falsch, so zu tun, als gäbe es keine Macht“, sagte Jung.
Er zitierte den Soziologen Max Weber, der Macht als die Fähigkeit beschrieb, etwas auch gegen Widerstände durchzusetzen. Macht, so Jung, bringe Verantwortung mit sich. Macht zu nutzen, verpflichte dazu, die Gesellschaft mitzugestalten, das eigene Handeln kritisch zu prüfen und Unrecht zu vermeiden. „Macht kann man gebrauchen – oder missbrauchen“, betonte er. Die Versuchung, Macht in Abhängigkeitsverhältnissen auszuspielen, sei real. Das müsse man sich stets bewusst machen.
Konrad Schulz lenkte den Blick auf die säkulare Gesellschaft, in der weniger als die Hälfte der Menschen in Deutschland einer christlichen Konfession angehört. „Was gibt die Kirche denen, die keiner Religion mehr angehören? “, fragte er. Auch das, so Jung, sei eine Machtfrage: „Glauben wir, die Wahrheit zu besitzen? Dass der Nichtglaubende ein Sünder ist? “ Kirche müsse jene ernst nehmen, die nicht glauben. „Meine Aufgabe ist es, meinen Glauben zu bekennen und zu erklären, was ihn ausmacht – ohne zu bedrängen oder Druck auszuüben. “
Jung sprach sich für eine plurale Gesellschaft aus, die Vielfalt in Glauben, Lebensstilen und Weltanschauungen zulässt. Kirchliche Bindung sei heute eine bewusste Entscheidung unter vielen. „Meinungsbildung braucht auch religiöse Stimmen“, sagte er. „Der Glaube darf sich nicht ins Private zurückziehen, sondern muss sich äußern – als eine Stimme unter vielen. “
Aus dem Publikum kam der Wunsch nach einer stärkeren Präsenz der Kirche. „Wir üben viel zu wenig Macht aus“, sagte eine Frau. „Mich quält die Ohnmacht angesichts des Zustands der Welt. “ Mehrfach wurde gefordert, die Kirche solle sich deutlicher als moralische Instanz positionieren. „Man kann auch mit Worten Druck ausüben“, hieß es.
Jung betonte, die Kirche stehe nicht in einem unterwürfigen Verhältnis zum Staat. „Wir kooperieren, aber wir führen auch kritische Dialoge. “ Als Beispiel nannte er das Kirchenasyl. Gleichzeitig werde der Kirche oft vorgeworfen, sich zu sehr in politische Fragen einzumischen. Doch der Verweis auf die Bibel sei keine politische Aussage, sondern eine Perspektive. Kirche dürfe keine politische Macht anstreben, „aber sie muss ihren Beitrag zur Gestaltung der Gesellschaft leisten – auch in politischen Debatten. “