Wolken am Himmel angestrahlt von untergehender Sonne. © Birgit Arndt / fundus.media

Himmlische Impulse

Gedanken zum Sonntag

Ein kleines Licht gegen die Nacht

von Birgit Hamrich
für den 24. Dezember 2025 – Heiligabend

„Wer klopfet an?“, fragt der Wirt singend im Krippenspiel, das in der Kirche meiner Kindheit aufgeführt wurde und die Antwort des Heiligen Paares im schönsten Duett: „Oh, zwei gar arme Leut!“ Jahr für Jahr wird ihnen die Tür wiederholt vor der Nase zugeschlagen. Der fürsorgliche Josef und seine hochschwangere Maria machen sich alljährlich auf die Suche nach einem Zimmer, nach einer Unterkunft. „Denn sie fanden keinen Raum in der Herberge“ lautet die Berichterstattung aus Bethlehem, wie sie Lukas in seinem Evangelium in der Bibel aufgeschrieben hat. Jedes Jahr wird diese Geschichte in den Kirchen und in manchen Familien im Licht des Weihnachtsbaumes gelesen. 

Nur einer konnte beim Hören dieser Erzählung nicht mehr an sich halten. Während die Erwachsenen entspannt dem Spiel der Kinder lauschten, trieb es den kleinen Wirt um und fast hätte er den Verlauf des Gottesdienstes oder schlimmer noch: die Dramaturgie des Heiligen Abends durcheinandergewirbelt. 

„Wer klopfet an?“, der Wirt. „Oh, zwei gar arme Leut!“, Maria und Josef. So weit so gut. Und dann, anstatt wie in den Proben verabredet und durchgespielt – „So macht euch fort“ – öffnete Mika, der kleine Wirt, seine im Altarraum improvisierte Tür sperrangelweit: „Kommt doch rein und ruht euch aus. Ihr habt bestimmt einen langen Weg hinter euch“, klingt es glockenhell durch die Kirche. Erstaunen, Rascheln, Flüstern. So war das nicht vorgesehen! Die Fremden sollten weggeschickt werden! 

Doch der Junge hatte es nicht ausgehalten, dass hilfesuchenden Menschen die Tür vor der Nase zugeknallt wird, dass der Heiland in einem zugigen Stall das Licht der Welt erblicken sollte. Kein Mensch hat es verdient, in der Not draußen stehen gelassen zu werden. Schon gar keine Schwangere. Fast wäre das Stück überraschend zu Ende gewesen.  Allein die Geistesgegenwart Marias, die Josef entschlossen an der Hand nahm und in Richtung Stall zog, hatte an diesem Abend den gewohnten Verlauf des Spiels wieder hergestellt. Entspanntes Zurücklehnen. 

Was wäre gewesen, wenn tatsächlich jemand die Tür geöffnet hätte? Was wäre, wenn wir uns öfter von dieser kindlichen Klarheit anstecken ließen? Wenn wir es nicht aushielten, Unrecht und Not einfach hinzunehmen?

Diese Fragen begleiten mich besonders in diesem Jahr. Wir leben in einer Zeit, in der viele Menschen emotional fragil sind, erschöpft von Krisen, Sorgen und Verlusten. Attentate, Gewalt und Hass treffen die Menschen – gerade jetzt – besonders tief. Dass solche Taten im Licht von Weihnachten und Chanukka geschehen, macht sie noch weniger erträglich. Und doch feiern Jüdinnen und Juden das Chanukka-Fest, Christen Weihnachten: Feste des Lichts, der Hoffnung, des Widerstands gegen die dunkelste Zeit des Jahres. 

Ein kleines Licht gegen die Nacht. Eine offene Tür gegen die Kälte. Ein Kind, das sagt: So geht es nicht weiter.

Chanukka erinnert daran, dass ein geweihtes Licht länger brennen kann, als alle Berechnungen erwarten lassen. Weihnachten erzählt von einem Gott, der verletzlich wird und sich in unsere Dunkelheit hineinbegibt. Beide Feste widersprechen der Resignation. Sie sagen: Die Dunkelheit hat nicht das letzte Wort.

Vielleicht zeigt sich das Prinzip Hoffnung genau darin: dass wir uns berühren lassen. Dass wir hinhören – auf Kinder, auf das, was unser Gewissen uns zuflüstert. Dass wir die Tür nicht verschlossen halten, sondern öffnen. Für den anderen. Für das Leben.

Unsere Welt braucht mehr solche kleinen Wirte – Menschen, die sagen: „Komm herein. Du bist willkommen. Du darfst sein, wie du bist.“ Und sie braucht Erwachsene, die bereit sind, sich von dieser Haltung korrigieren zu lassen.

Ich wünsche Ihnen, dass diese Feiertage Ihnen ein Hoffnungslicht schenken. Einen Moment des Aufatmens, einen Ort, an dem Sie willkommen sind und die Zuversicht, dass selbst in dunkler Zeit Mitgefühl und Frieden aufleuchten können.

Birgit Hamrich ist Dekanin des Evangelischen Dekanats Büdinger Land

Auf einem Tisch liegen eine Bibel und ein Block. Man sieht zwei Hände, die einen text schreiben.Tobias Frick/fundus-medien.de

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