Um das Thema Einsamkeit ranken sich viele Mythen: dass sie nur alte Menschen trifft, dass nur alleinlebende Menschen einsam sind oder dass man sich eben besonders anstrengen müsse, um sie zu überwinden. „Nein“, betont Psychologin Annelie Meis, „Einsamkeit kann jeden Menschen in jeder Lebensphase betreffen – mit teils erheblichen körperlichen und seelischen Folgen.“ Schätzungen zufolge fühlen sich 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung zumindest teilweise einsam.
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Perspektive auf Einsamkeit“ des Evangelischen Dekanats Büdinger Land sprach Annelie Meis im Margaretha-Pistorius-Haus in Nidda zum Thema „Wenn Einsamkeit zur Belastung wird“. Die rege Teilnahme der überwiegend weiblichen Zuhörerschaft zeigte deutlich: Viele kennen das Gefühl von Einsamkeit.
Einsamkeit ist nach Meis klar von Alleinsein oder Isolation zu unterscheiden: Es handelt sich um ein subjektives Gefühl der Trennung, „als stehe man hinter einer Scheibe und gelange nicht darüber hinweg“. Ursachen sind vielfältig: „Jede Lebensveränderung wie Umzug oder Jobwechsel ist ein Risikofaktor, denn sie ist verbunden mit Kontaktabbruch“, so die Psychologin. Durch ihre höhere Lebenserwartung seien Frauen strukturell betroffen von Einsamkeit. „Die Übernahme von Care-Arbeit begünstigt ebenfalls Einsamkeit.“
Auch chronische und psychische Erkrankungen können einsam machen, wenn sie Betroffene an gesellschaftlicher Teilhabe hindern.
Eine große Rolle spielen soziale Medien: „Man denkt, man hat viele Freunde, aber es entsteht keine Nähe“, so Annelie Meis, die eine junge Frau mit dem Wunsch nach tiefer Verbundenheit zitierte: „Ich möchte so gerne wieder die Wärme einer anderen Person spüren.“
Die Pandemie mit ihren Kontaktbeschränkungen hat besonders bei jungen Menschen das Gefühl von Isolation verstärkt.
Die Folgen von chronischer Einsamkeit sind erheblich: Sie kann das Leben verkürzen wie Rauchen oder starkes Übergewicht. Körperlich drohen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Schlaganfälle oder Alzheimer; psychisch können Angststörungen, Depressionen, Suizidgedanken oder Schlafstörungen auftreten.
Umso wichtiger ist Prävention. Die Bundesregierung hat vor zwei Jahren die „Strategie gegen Einsamkeit“ gestartet, ein umfassendes Maßnahmenpaket mit über 100 Initiativen, das gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt, niedrigschwellige Hilfsangebote ausbaut und Einsamkeit in allen Lebensphasen vorbeugt.
Eine zentrale Rolle spielt das Kompetenznetz Einsamkeit, eine vom BMFSFJ geförderte Initiative, die Wissen über Ursachen und Folgen bündelt, den Austausch zwischen Forschung, Zivilgesellschaft und Politik fördert und über eine digitale Landkarte mehr als 1.000 Unterstützungsangebote sichtbar macht. Das KNE organisiert zudem die Aktionswoche „Gemeinsam aus der Einsamkeit“.