Wenn Kirchen schließen

veröffentlicht 16.09.2025 von Judith Seipel, Kirche im Evangelischen Dekanat Büdinger Land

Was geschieht mit Kirchengebäuden, die leerstehen, weil immer mehr Menschen der Kirche den Rücken kehren? Diese Frage begleitete Pfarrerinnen, Pfarrer und Mitarbeitende des Evangelischen Dekanats Büdinger Land auf einer fünftägigen Studienreise durch die Niederlande.

In den Niederlanden ist die Säkularisierung weit fortgeschritten. In Amsterdam gehören weniger als zwei Prozent der Bevölkerung einer christlichen Kirche an. Jede Woche schließen zwei Kirchen. Der Fantasie bei der Umnutzung sind kaum Grenzen gesetzt: Buchhandlung, Kneipe, Sozialkaufhaus – alles scheint möglich. „Wir nehmen viele Anregungen mit“, sagt Dekanin Birgit Hamrich, beeindruckt von der Kreativität der Niederländer. „Natürlich lässt sich nicht alles von einer Metropole wie Amsterdam auf unsere Region übertragen. Aber der Wille, Kirchen mit neuem Leben zu füllen und dabei etwas von ihrer ursprünglichen Würde zu bewahren, macht uns Mut. “ 


Im Dekanat Büdinger Land muss wie überall in der Landeskirche bis zum Jahr 2030 die Bauunterhaltungslast um 20 Prozent gesenkt werden. So sieht es der Reformprozess „ekhn2030“ vor. Betroffen sind davon vor allem Gemeindehäuser. Doch stellt sich auch die Frage nach der Zukunft von Kirchen, die sonntags nur noch von einer Handvoll Menschen besucht werden. 


Wie verändert sich das Leben, wie verändern sich Werte, wenn sich immer mehr Menschen von der Kirche verabschieden? Findet man Gemeinschaft, Spiritualität und Ruhe auch in den scheinbar schwebenden Schlafkabinen eines Kirchenschiffs, das zum Hotel umgebaut wurde? Wo findet Kirche statt? In einem sakralen Raum in der Altstadt oder vielleicht auch in einer kleinen Wohnung in einem Randbezirk?


Eindrucksvoll war die erste Station der Reise: die ehemalige Dominikanerkirche in Maastricht, eine der ältesten gotischen Kirchen der Niederlande. 2008 wurde sie an eine Buchhandelskette verkauft und zählt heute zu den schönsten Buchhandlungen der Welt. Der helle, weite Raum strahlt Ruhe und Würde aus. Das alte Mauerwerk blieb bewusst schlicht. Im ehemaligen Chorraum lädt ein Café zum Verweilen ein – zum Lesen oder einfach zum Staunen. 


Die Eusebiuskirche in Arnheim, im 15. Jahrhundert erbaut, wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und später wiederaufgebaut. Heute dient sie als kultureller Veranstaltungsort und beherbergt die städtische Tourist-Information. Der markante Turm mit gläsernen Aufzügen und zwei Glasbalkonen ist ein Anziehungspunkt. Eine Ausstellung erinnert an die Schlacht von Arnheim und den Wiederaufbau der Kirche. Gottesdienste finden nur noch wenige Male im Jahr statt. 


Die 1921 erbaute St.-Rita-Kirche im Norden Amsterdams hat bereits als Bibliothek und Filmstudio gedient, bevor sie vor zehn Jahren in ein Design-Hotel umgewandelt wurde. „Kirchen sollen gemeinschaftliches Staunen fördern“, schreibt der Gründer des Hotels „Bunk“. Das ist ihm gelungen. Ein rosa Dinosaurier begrüßt die Gäste, weiße Schlafkabinen schweben zwischen hohen Spitzbögen, und überall finden sich witzige Details, Kunst und Kitsch. Nichts wirkt sakral, und doch, so empfinden viele aus der Gruppe, atmet das Haus den Geist seiner früheren Bestimmung. „We’re still blessed“, sagt Room-Managerin Katarina. 


Ganz anders „Stap Verder“ (einen Schritt weiter) im Süden Amsterdams. Die Organisation arbeitet in einer kleinen Wohnung ohne Gewölbe, Spitzbögen oder Design – und ist doch ganz Kirche. Seit 15 Jahren bietet sie Migranten einen sicheren Raum, schenkt Orientierung und Perspektiven. Sprachkurse, Beratung, Mahlzeiten und Hilfe im Alltag gehören zum Angebot. „Wenn Sie eine Kirche übrighaben“, rät Koordinatorin Erika den deutschen Gästen, „bauen Sie ein paar Duschen ein, richten Sie Zimmer für Übernachtungen her und stellen Sie einen Sozialarbeiter ein. “ 


Diakonische Arbeit wird auch in einer Kirche am anderen Ende der Stadt geleistet. De Ark wurde 1967 erbaut, schon damals mit der Absicht, mehr als eine Stätte für Gottesdienste zu sein. Im riesigen Kirchenschiff können Bedürftige unter einem schlichten Holzkreuz für ihren alltäglichen Bedarf einkaufen. Es gibt Sprachkurse, einen Kleiderladen und Beratungsangebote. „Auch wenn es nicht so ausschaut, wir sind noch immer eine Kirche“, versichert Sozialarbeiter Huub.


Die Niederlande also als Blaupause für die Zukunft der Kirche in Deutschland? „Nein, so weit würde ich nicht gehen“, sagt Dekanin Birgit Hamrich. „Wir haben eine stabile Finanzierung durch die Kirchensteuer und sind stark ins soziale Netz eingebunden. Aber wir können von unseren Nachbarn lernen, wie wir uns öffnen – mit Kirchen als Orten der Begegnung, der Kultur, der Spiritualität und der Hilfe. Wir brauchen Vertrauen, dass Neues entsteht und Kirche nicht verschwinden wird.“