von Holger Lux
Vorrede
1985, zum Anlass des 40. Jahrestages des Kriegsendes, ist in Altenstadt, wo ich aufgewachsen bin, eine kleine Gedenkschrift entstanden, die im Untertitel trägt: Geschehnisse in einer Gegend, in der „…eigentlich nichts Besonderes los war“. Dieser Satz war damals schon eher als Ausflucht zu verstehen. Leider konnte ich den Zitatengeber nicht ermitteln, aber wir möchten Ihnen heute verdeutlichen, dass wir definitiv nicht in einer Gegend leben, in der vor 80 Jahren „eigentlich nichts Besonderes los war“.
Das Kriegsende in Glauberg
Dass der Krieg in seiner Spätphase auch hierher aufs Land kommt, haben die Menschen in Glauberg schon seit 1943 wahrgenommen. Am 14. Oktober kommt es zum Luftkampf über dem Ort, bei dem einer der Bomber im Stockheimer Wald abstürzt und einzelne Brandbomben auch den Ort selbst treffen. Die Glauberger Kirchenchronik überliefert für das Jahr 1944 weitere Ereignisse dieser Art. Am 22. Februar und am 19. März 1945 wird der Bahnhof in Stockheim gezielt bombardiert, offenbar um die dortige wichtige Infrastruktur zu unterbrechen. Einen Tag zuvor erleben die Menschen, dass sie nachts den erleuchteten Himmel über dem bombardierten Hanau bis nach Glauberg sehen können.
Ende März 1945 dringt die Nachricht vom Herannahen der Amerikaner auch nach Glauberg durch. Am 29. März erscheint gegen 16:30 Uhr ein Melder mit der Nachricht, sie seien kurz vor dem Ort, Minuten später rollen die ersten amerikanischen Panzer über die Hauptstraße. Bürgermeister und Ortsgruppenleiter der NSDAP, Heinrich Wolf, hatte kurz bevor er sich nach Lauterbach absetzte, noch die Errichtung von Panzersperren an den Straßen nach Enzheim und nach Stockheim befohlen. All dies hindert die Amerikaner nicht am Durchzug.
Am Abend ergeht der Befehl an die Glauberger Bevölkerung, etwa 100 Häuser im Ortskern innerhalb von 20 Minuten zu räumen. Die Amerikaner richten hier für einige Tage eine Art Durchgangsstation ein, es kommt auch zu kleineren Auseinandersetzungen mit um den Ort versprengen deutschen Soldaten. Noch am 29. März wird mit Heinrich Jungmann ein Übergangsbürgermeister eingesetzt. Die Kirchenchronik berichtet von einem durchaus zugewandten Verhalten der amerikanischen Soldaten.
Bis zum 1. April, den Ostersonntag, verlassen die Amerikaner Glauberg wieder. Viele Glauberger sollten gehofft haben, das Schlimmste überstanden zu haben. Doch sie sollten sich irren, der Krieg war für sie noch nicht zu Ende.
Zwischenrede
Nur einen Tag später, am 2. April 1945, dem Ostermontag, kehrte der Krieg in Form von Einheiten der 6. SS-Gebirgs-Division „Nord“ nach Glauberg zurück. Zunächst einige kurze Angaben, um wen es sich hierbei handelt.
Die 6. SS-Gebirgs-Division „Nord“
Die 6. SS Gebirgs-Division „Nord“, ursprünglich in Finnland und Ostfrankreich eingesetzt, wird kommandiert von SS-Gruppenführer Karl Heinrich Brenner.
Nach zahlreichen Rückzugsgefechten kommt Brenners Einheit im März 1945 im Raum Weilburg an. Brenners Ziel ist eine von ihm vermutete deutsche Front im Norden von Gelnhausen, die in Wahrheit aber zu diesem Zeitpunkt nicht mehr existiert.
Nach weiteren vereinzelten Gefechten im Raum Wehrheim am 31. März 1945 tritt die Situation ein, dass Brenners Truppen von den vorrückenden Amerikanern überholt werden. Die 6. SS-Gebirgs-Division „Nord“ besteht zu diesem Zeitpunkt noch aus ca. 2.000 Mann, aufgeteilt in zwei Kolonnen, geführt von SS-Standartenführer Hellmuth Raithel.
Raithel kommandiert eine motorisierte Einheit. Hierbei muss man von ca. 1.000 Mann ausgehen, die mit Panzerwagen und LKWs unterwegs sind. Die zweite Kolonne wird kommandiert von SS-Oberführer Johann-Georg Goebel.
Der zweite Tross ist eine pferdebespannte Kolonne, ausgerüstet mit nur noch sechs Gebirgsgeschützen und einigen leichten Sturmgeschützen. Diese Kolonne kann mit ca. 800 bis 1.000 Mann beziffert werden und dieser pferdebespannte Teil ist dann relevant für die Kampfhandlungen am Glauberg.
Was passiert auf dem Glauberg?
Beide Kolonnen verbringen bei ihrem Vormarsch nach Osten die Nacht vom 31.März auf den 1. April 1945 im Wald im Bereich des Stammheimer Kreuzes. Offenbar hat Brenner nun bemerkt, dass seine Einheit ins Visier der Amerikaner geraten ist. Die pferdebespannte Kolonne verlässt am 1. April gegen Mittag den Stammheimer Wald und gerät im Bereich Rodenbach erstmalig unter amerikanischen Beschuss. Goebel lässt seine Kolonne dann im Heegheimer Wald ausruhen und in den frühen Morgenstunden des 2. April, gegen 3:30 Uhr weiter in Richtung Glauberg ziehen. Ein Teil der Kolonne, die sich auf eine Distanz von über einem Kilometer erstreckt, umgeht den Ort Richtung Stockheim. Der hintere Teil der Einheit, ca. 300 bis 400 Mann, ca. 200 Pferde, der Rest der Geschütze und eine Anzahl mitgeführter amerikanischer Gefangener durchqueren den Ort in Richtung des Glaubergs.
Anwohner, die ab etwa 6:00 Uhr morgens Zeugen dieses Zuges geworden sind, berichteten, dass sich der Tross zwei Stunden lang langsam durch den Ort bewegt habe. Nach Aussagen von Zeitzeugen kam es auch zu Androhungen von Gewalthandlungen gegen die Glauberger.
Während die Kolonne langsam den nur mäßig befestigten Weg den Berg hinaufzieht, bemerkt eine amerikanische Einheit gegen 9:00 Uhr diese Bewegung von der entgegengesetzten Talseite aus.
Die Amerikaner geben in der Folge mehrere Schüsse mit Feldgeschützen auf den ziehenden Tross ab, hierbei kommt es zu einigen Verletzten und die restlichen Teile der SS-Kolonne flüchten den Glauberg hinauf. Man sammelt sich in dem Bereich, wo sich heute das Gebäude der Keltenwelt, bzw. das frühere Wohnhaus des Glauberg-Ausgräbers Heinrich Richter befindet. Da Richter mehrere zivile Geflüchtete in seinem Wohnhaus untergebracht hat, gibt er den SS-Truppen den Hinweis, auf der ortszugewandten Seite des Glaubergs in Richtung Norden zu ziehen.
Nach dem ersten Beschuss des ziehenden Trupps befindet sich die SS-Kolonne unter ständiger Beobachtung der Amerikaner. Diese ziehen nun gegen kurz nach 9:00 Uhr mehrere Geschütze am Fuß des Berges zusammen und positionieren diese.
Nach kurzer Sammlung setzt die SS-Einheit nun ihren Weg in Richtung Norden fort, wobei man sich am Hang des Glaubergs im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Präsentierteller befindet. Ein Ausweichen ist auf dem schmalen Weg auch nicht möglich.
Von amerikanischer Seite wird der langgezogene Tross der SS-Einheit nun ein zweites Mal unter Beschuss genommen. Dieser dauert ca. 20 Minuten lang und wird von Überlebenden als überaus heftig beschrieben. Die Verletzten des ersten Beschusses, die man im RAD-Haus vorübergehend untergebracht hatte, scheinen in dieser Situation ein amerikanisches Aufklärungsflugzeug beschossen zu haben, denn auch das RAD-Haus gerät ins Visier der Amerikaner und wird mit Phosphor-Munition in Brand geschossen.
Der Glauberg nach dem Gefecht
Direkt nach dem Gefecht und dem fluchtartigen Abzug der SS-Soldaten durchkämmen die Amerikaner das Gefechtsfeld auf dem Glauberg und finden sechs gefallene Männer der SS. Beim Durchsuchen der Reste des RAD-Hauses einige Tage später werden erneut sechs Leichen gefunden, Soldaten, die das Gebäude beim Beschuss nicht mehr verlassen konnten. Der Letzte der im RAD-Haus Umgekommenen wird erst im Jahr 1955 beim Bau des heutigen Naturfreundehauses gefunden.
Im Ganzen haben 14 Soldaten die Gefechte am Glauberg nicht überlebt. Die Westflanke des Berges hatte sich in ein zerschossenes Schlachtfeld verwandelt. Noch größer ist die Zahl der zurückgebliebenen Pferdekadaver. In den nächsten Tagen schafften einige Glauberger Männer 63 tote Tiere in einen früheren Ausgrabungsschnitt und verscharrten sie dort.
Nach den Gefechten am Glauberg flüchten die Reste der SS-Einheit in Richtung Bergheim und über Kefenrod in den Bereich der Hochebene bei Bindsachsen. Zeitzeugen berichten von kleineren Kämpfen in den Ortschaften entlang dieser Route. Erkennbar ist aber, dass es an verschiedenen Stellen dieses Weges zu einer möglicherweisen Hinrichtung von Deserteuren gekommen zu sein scheint. Ohne nennenswerte Deckung werden die Reste der pferdebespannten Kolonne auf diesem Weiterweg vollständig aufgerieben.
In Waldensberg und Leisenwald beenden die Amerikaner dann auch den Vormarsch der motorisierten Kolonne. Bei geradezu fanatischen Häuserkämpfen werden beide Ortschaften fast vernichtet. Die Reste der 6. SS-Gebirgs-Division „Nord“ werden von Norden in den Büdinger Wald versprengt, kommen dort bei Einzelkämpfen um oder geraten in Gefangenschaft.
Die gefallenen Soldaten vom Glauberg liegen heute auf dem Kriegsopferfriedhof im Kloster Arnsburg begraben – direkt neben den Opfern der Hinrichtungen von Hirzenhain.
Das Beispiel der fanatischen Gefechte in der Wetterau zeigt unmissverständlich nicht nur die militärische Sinnlosigkeit dieser Kriegshandlungen. Es bietet einen Einblick in die Katastrophe des Krieges, der vor 80 Jahren vor Jedermanns Haustür stattgefunden hat.
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