Scham, Schuld und Sprachlosigkeit

„Talk am Turm“ mit der Journalistin Sabine Bode über die psychischen Langzeitfolgen des Krieges

20. Mai 2025

Macht verborgene Geschichten sichtbar: die Journalistin und Autorin Sabine Bode im Parksaal Bad Salzhausen. Foto: Maresch

Um die psychischen Langzeitfolgen des Krieges ging es in der jüngsten Veranstaltung von „Talk am Turm“ des Evangelischen Dekanats Büdinger Land, die dieses Mal in Kooperation mit der Stadt Nidda aufgrund der zu erwartenden Resonanz im Parksaal Bad Salzhausen stattfand. Die Referentin, die Journalistin Sabine Bode, befasst sich seit vielen Jahren mit den seelischen Langzeitfolgen des Zweiten Weltkriegs in den Nachkriegsgenerationen. Ihre Bücher dazu sind Bestseller.  

 

Für das anhaltend große Interesse an der Arbeit von Sabine Bode liefert Hans Hamrich, einer der Initiatoren des Gesprächsformats „Talk am Turm“, in seiner Begrüßung eine Erklärung aus seiner eigenen Biografie. Der Krieg habe auch in seiner Familie tiefe Spuren hinterlassen. Bodes Bücher hätten ihm geholfen, Verhaltensmuster zu erkennen und zu verstehen. „Das Thema hat mit uns allen zu tun, auch 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs“, betont Hamrich.

 

Als 2004 das Buch „Die vergessene Generation“ erschien, brachte es einen Stein ins Rollen. Sabine Bode lenkte den Blick auf die seelischen Trümmer des Krieges, die bis dahin weitgehend unbeachtet geblieben waren, und machte verborgene Geschichten sichtbar. Unzählige Interviews hat sie dafür mit Kriegskindern, der „vergessenen Generation“ der Jahrgänge 1930 bis 1945, geführt. „Erwachsene Kriegskinder glauben fest daran, dass der Krieg ihnen nicht geschadet hat“, sagt Bode. Ihre Erlebnisse, über die sie lange nicht gesprochen haben, handeln von gefallenen Vätern, von Gewalt, Verzicht und Hunger. „Das sind verheerende Erfahrungen, aber ihnen fehlte der emotionale Zugang“, so Bode.

 

Diese Wunden der Kindheit seien niemals geheilt, weil niemand ihnen Beachtung schenkte. „Es gab keine Trauerarbeit, keine Rituale und kein Gedenken, um den Verlust des gefallenen oder vermissten Vaters zu verarbeiten“, berichtet die Journalistin weiter. Über allem habe das Tabu des Schweigens gelegen. Heute schätze man, dass acht bis zehn Prozent dieser Kriegsgeneration unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung litten.

 

Schweigen, Sprachlosigkeit und Scham wirken fort in den Nachkommen der vergessenen Generation, denen sich Sabine Bode in ihrem Buch „Kriegsenkel“ zuwendet. Geboren in den Jahren zwischen 1960 und 1975 wachsen die Kriegsenkel in Zeiten des Wohlstands auf –und in einem Elternhaus voller Geheimnisse. „Geheimnisse“, so Bode, „gibt es in jeder Familie. Es kommt auf die Dosis an.“ Oft war die toxisch. Mit weitreichenden Folgen: Die Kriegsenkel leiden unter innerer Unsicherheit, emotionaler Distanz und dem Gefühl, im Leben gehemmt zu sein. „Ihre Eltern konnten nicht trösten, nur beschwichtigen“, sagt Sabine Bode.

 

Sie stellt zwei Bilder für die verschiedenen Perspektiven in den Familien gegenüber: die Burgfamilie mit einem übersteigerten Sicherheitsbedürfnis, die sich hinter dicke Mauern zurückzieht und abschottet, weil draußen Gefahr lauert, und die Hafenfamilie, die zwar auch den Schutz des sicheren Hafens braucht, aber immer wieder in Beziehung zu dem Außen tritt.

 

 

Sabine Bode fordert auf zum Reden, zum Austausch über die Vergangenheit, damit die Nebel sich lichten. Das Schweigen, ist sie überzeugt, wird vererbt.“ Nur wer seine Familienvergangenheit kenne, erliege keiner lähmenden Angst, die ihn in die Arme von Populisten treibe. Nur wer sich dieser Vergangenheit stelle, könne eigene Lebensblockaden überwinden. (jub)