Seit Juli ist Christine Zahradnik neue evangelische Notfallseelsorgerin im Dekanat Wetterau: Neben dem katholischen Kollegen Gregor Rettinghaus und einem 20-köpfigen Team ist sie Begleiterin, wenn die Krise eintritt.
08.08.2019
Von Annegret Rach
Christine Zahradnik und ihre Frau sind noch am Renovieren im neuen Wohnort Niddatal-Assenheim. „Wir sind in ein altes Haus gezogen und alte Häuser bergen manchmal Überraschungen“, schmunzelt sie. Deshalb pendelt die 54-Jährige momentan noch zwischen dem Pfarrhaus in Hattersheim-Okriftel und Assenheim. In Okriftel war sie über dreizehn Jahre lang Pfarrerin der Matthäusgemeinde, zuvor war sie sechs Jahre in der Versöhnungsgemeinde im Frankfurter Gallus-Viertel beruflich aktiv.
Zu der Veränderung kam es, da Zahradnik in den letzten Jahren Bilanz gezogen hatte. „Will ich noch mal etwas anderes machen oder möchte ich Gemeindepfarrerin bleiben?“, war dabei eine zentrale Frage. Den Beruf der hauptamtlichen Notfallseelsorgerin konnte sie sich gut vorstellen. „Dann waren die zwei Stellen kurz hintereinander vakant“, erzählt sie. Sie bewarb sich auf die zwei halben Pfarrstellen: Eine ist im Dekanat Wetterau angesiedelt, die andere im Main-Taunus-Kreis und Kreis Groß-Gerau. Während sie im Main-Taunus-Kreis die einzige Hauptamtliche ist, arbeitet sie im Wetteraukreis an der Seite ihres katholischen Kollegen Gregor Rettinghaus. Auf evangelischer Seite löst sie Stefan Frey ab.
Der Zeitpunkt sei gut für den beruflichen Wechsel, sagt sie, wenn auch mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Einerseits ist sie wehmütig, ihre Gemeinde zu verlassen, wo sie sich unter anderem für die Nachwuchsförderung durch Jugendtheater einsetzte. Andererseits freut sie sich auf die neue Herausforderung.
Wertvolle Aufgabe
Notfallseelsorge stellt sich zur Aufgabe, Menschen in akuten Krisensituationen beizustehen: Wenn jemand nicht reanimiert werden konnte, einen Unfall hatte oder unerwartet zuhause stirbt, und die Angehörigen nicht allein bleiben können. Das Überbringen von Todesnachrichten gehört ebenfalls dazu, was gemeinsam mit der Polizei erfolgt. „Wir sehen dies als wertvolle Aufgabe“, sagt Zahradnik. Natürlich sei es auch schwer, wie sie einräumt. „Aber viel schwerer ist der Weg, den die Menschen haben, zu denen ich gehe.“
Eine andere Aufgabe ist der Einsatz bei Großschadenslagen, was aber die Ausnahme sei. Sie erinnert sich an die Tsunami-Katastrophe im Jahr 2004: „Wir standen am Flughafen bereit, als die Flüge kamen und nahmen die Fluggäste in Empfang.“ Erreichbar ist Zahradnik über ihren Funkmeldeempfänger, „die Leitstelle Wetterau alarmiert uns“.
Im Wetteraukreis besteht die ökumenische Notfallseelsorge aus einem Team von etwa 20 Männern und Frauen, die die Rufbereitschaft unter sich aufteilen. Zum Großteil sind dies Pfarrer und Pfarrerinnen, die diese Tätigkeit freiwillig und zusätzlich zu ihrem Dienst ausüben. Es gibt aber auch Ehrenamtliche, die dafür ausgebildet werden. Bereits als junge Pfarrerin lernte Zahradnik diese Aufgabe kennen: „Für mich war es von Anfang an völlig schlüssig, gleich da zu sein, wenn eine Krise eintritt.“
Notfallseelsorge begleite nur in der akuten Phase, möglichst zeitnah, aber nicht überstürzt. Nicht passieren dürfe, zu eilig zu klingeln – und am Ende ist es die falsche Tür. „Ziel ist, ein Stück zu begleiten, bis Freunde oder Familie da sind. Bis das soziale Netz greift oder die Person aus der ersten Hilflosigkeit raus ist.“ Mit Ratschlägen müssten Notfallseelsorger vorsichtig sein, aber sie hülfen, die nächsten Stunden zu strukturieren. Empathie gehöre dazu, aber auch ein gesundes Nähe- und Distanz-Verhältnis. „Mein Herz nimmt Anteil, und das dürfen die Menschen auch sehen. Bei allem Berührtsein dürfen wir aber nicht mit in den Strudel geraten.“ Kraft geben Zahradnik ihr Glaube, die Gewissheit, bei ihren Einsätzen auf Gott zu treffen und ihre Nächstenliebe. „Was mir hilft? Gott, da setze ich drauf. Das andere ist: die Menschen lieben.“
An der Dekanatssynode des Evangelischen Dekanats Wetterau am 14.09.2019 um 9:00 Uhr wird Christine Zahradnick in einem Gottesdienst in Bad Vilbel-Dortelweil in ihr neues Amt eingeführt.
Notfallseelsorge ist:
Die Notfallseelsorge hat nach wie vor eine fast durchgängig positiven Außenwahrnehmung. Ihre Aktivitäten sind mittlerweile zum annähernd selbstverständlichen Bestandteil der Notfallversorgung geworden. Der Beitrag der Kirchen, um Menschen in Not nicht allein zu lassen, wird von allen Kooperationspartnern und in der Gesellschaft hoch wertgeschätzt und als glaubwürdiges Engagement wahrgenommen. An kaum einer anderen Stelle erreicht die Seelsorge so viele Menschen, die sonst in relativer Distanz zu üblichen kirchlichen Angeboten leben. Die Notfallseelsorge arbeitet professionell und muss sich zunehmend professionellen Standards stellen. Nicht selten ist die Notfallseelsorge die einsatzstärkste Organisation im Vergleich mit anderen ehrenamtlich aktiven Hilfsorganisationen vor Ort. Und noch wird das Angebot flächendeckend erbracht, d.h. eine notfallseelsorgliche Begleitung wird im ganzen Kirchengebiet angeboten, unabhängig davon ob es sich um eine ländliche Region oder eine
Großstadt handelt.