Erholungsaufenthalte für Kinder im Evangelischen Dekanat Büdinger Land - Region Schotten

HILFE FÜR TSCHERNOBYL – KINDER

Foto: Archiv
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Am 26. April 1986 ereignete sich die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl (Ukraine). Die gesundheitlichen Folgen dieses Super-Gaus sind bis heute für viele Menschen gravierend - auch in Gebieten von Weißrussland. 

 

Während der Dekanatssynode des ehemaligen Evangelischen Dekanates Schotten am 22.08.1992 war Pfarrer Klaus Steckenreuter mit zwei weißrussischen Lehrerinnen - u.a. mit Galina Kutscherowa - zu Gast und berichtete über die Initiativgruppe Schlitz und die Einladung an Kinder aus verstrahlten Regionen in Weißrussland für einen Erholungsaufenthalt im Schlitzer Land.

 

Die Schottener Dekanatssynode beschloss an diesem Tag, eine Planungsgruppe unter der Leitung des Dekanatsjugendreferenten Hans-Joachim Adolph einzurichten, die die Möglichkeit zur Durchführung eines vergleichbaren humanitären Hilfsprojektes im Bereich des Dekanates Schotten abklären und entsprechende Vorschläge dazu erarbeiten sollte.

 

Wenige Tage später fand ein erstes Treffen mit den beiden weißrussischen Lehrerinnen in Lauterbach statt, und erste konkrete Absprachen für einen Erholungsaufenthalt weißrussischer Kinder im Dekanat Schotten wurden getroffen.

 

Im Oktober 1992 fand dann das erste Treffen der Initiativgruppe "Hilfe für Tschernobyl-Kinder" statt. Insgesamt neun Personen trafen sich damals, und mit diesem Treffen begann das humanitäre Hilfsprojekt des Evangelischen Dekanates Schotten und die Arbeit der Initiativgruppe "Hilfe für Tschernobyl-Kinder". Im Herbst 1993 besuchte eine Abordnung des Dekanates erstmals den Pinskreis in Weißrussland und das Partnerdorf Mertschizy. Sinn des Besuches war es, die Lebensverhältnisse der Menschen dort kennen zu lernen, Kontakte zu knüpfen, Absprachen zu treffen und eine konkrete Einladung für einen ersten Erholungsaufenthalt im Dekanat Schotten auszusprechen. Im Sommer 1993 war es dann soweit: Vom 15.6 bis 9.7.1993 fand der erste Erholungsaufenthalt für 45 Kinder aus Mertschizy und Logoschin im Freizeitheim Ulrichstein statt.

 

Neben Erholungsaufenthalten wurden von 1993 bis 1998 insgesamt sieben Hilfstransporte in Verbindung mit dem Oberhessischen Sozialpfarramt (Pfr. Christoph Geist) nach Mertschizy durchgeführt.

 

In der Folgezeit gab es zwei Veränderungen bei der Durchführung der Erholungsaufenthalte: Einmal entschied sich die Initiativgruppe Schotten - in Absprache mit den weißrussischen Partnern - nur noch Kinder aus Mertschizy (4., 5. und 6. Schulklassen) einzuladen, zum Zweiten sollten die Aufenthalte aus Kostengründen im eigenen Dekanatsjugendhaus durchgeführt werden. Nach Abschluss der Bauarbeiten hierfür konnten dann vom 22.5 bis 16.6.1996 als erste Belegungsgruppe im Dekanatsjugendhaus Schotten 28 Kinder aus Mertschizy zu ihrem zweiten Erholungsaufenthalt begrüßt werden.

Seither wurden die Erholungsaufenthalte im Zwei-Jahres-Rhythmus durchgeführt. Es waren immer 27 bis 29 Kinder für fast vier Wochen zu Gast im Dekanatsjugendhaus. Bis zum Jahr 2014 konnten insgesamt zwölf Erholungsaufenthalte in Schotten ermöglicht werden. Insgesamt 360 Kinder aus Mertschizy und dem Pinskreis konnten an den Erholungsaufenthalten in den vergangenen 20 Jahren teilnehmen.

 

Dabei waren der Initiativgruppe immer zwei Dinge wichtig: Zum einen sollten sich die Kinder im Vogelsberg erholen und zum anderen sollten sie "gesunde" Lebensmittel zu essen bekommen. Wichtig ist dabei die Herausnahme der Kinder aus der heimischen Lebensmittelkette, um ihnen hier gesunde und abwechslungsreiche Ernährung zu bieten. Viele Kinder hatten und haben durch die dauerhafte Strahlenbelastung gesundheitliche Probleme. Durch die jeweils vierwöchigen Erholungsaufenthalte bekommen sie die Möglichkeit, ihren Gesundheitszustand zu verbessern und auf Jahre hin zu stabilisieren. Dies war und ist nur möglich - neben der Durchführung von Benefizveranstaltungen, Flohmärkten u.ä. - durch die Spendenbereitschaft von Kirchengemeinden, Organisationen und Vereinen im Dekanat und natürlich durch die Spenden und das Engagement vieler Einzelpersonen.

 

Seit dem Jahr 1999 gab es im zweijährigen Wechsel zu den Erholungsaufenthalten Besuche von Mitgliedern der Initiativgruppe aus Schotten in Mertschizy. Verbunden waren diese Besuche immer auch mit humanitärer Hilfe. So wurden nach den finanziellen Möglichkeiten der Initiativgruppe das Krankenhaus in Prechje, die Schule und der Kindergarten in Mertschitzy oder auch schwer erkrankte Einzelpersonen unterstützt, z.B. durch den Kauf von Medikamenten.

 

An dieser Stelle hervorzuheben sind auch alle engagierten Menschen in Mertschitzy und im Pinskreis, die mit dazu beigetragen haben, dass diese Aufenthalte so möglich waren. Dank ist zu sagen für die herzliche Aufnahme, die Gastfreundschaft und die wunderbaren Stunden, die Mitglieder der Initiativgruppe Schotten mit den Freunden in Mertschizy in Weißrussland erleben durften.

 

Nach der beruflichen Neuorientierung des Dekanatsjugendreferenten Hans-Joachim Adolph und seinem Weggang aus dem Dekanat Ende 2010 übernahm ab dem Jahr 2011 Annelore Beljanski die Leitung der Initiativgruppe. Gegenwärtig (2015) arbeiten über 20 Personen ehrenamtlich in der Initiativgruppe "Hilfe für Tschernobyl-Kinder".

 

 


Schotten: Wechsel in der Tschernobyl-Initiative

Quelle: Kreis-Anzeiger – 5.08.2019

 

In der Tschernobyl-Initiative im evangelischen Dekanat Büdinger Land stand ein Wechsel an: Annelore Beljanski, die die Arbeit der Gruppe seit 2010 geleitet hat, übergab ihr Amt an Pfarrer Frank Eckhardt (Breungeshain).

 

Von Elfriede Maresch

 

(SCHOTTEN/em) - In der Tschernobyl-Initiative im evangelischen Dekanat Büdinger Land stand ein Wechsel an: Annelore Beljanski, die die Arbeit der Gruppe seit 2010 geleitet hat, übergab ihr Amt an Pfarrer Frank Eckhardt (Breungeshain), der der Gruppe seit 1998 angehört. Zugleich wurden Heinrich und Waltraut Rühl (Helpershain) verabschiedet, die diesen Hilfsdienst seit 1993 mitgetragen haben, sowie der ebenfalls langjährig engagierte Erhard Zimmer. Erfreulicherweise haben sie Nachfolger gefunden: Jetzt engagieren sich Petra Graf (Ulfa) und Reiner Spruck (Michelbach). Dekanin Sabine Bertram-Schäfer dankte ihnen herzlich, übergab Urkunden und kleine Geschenke.

 

Wilhelm Lückel, ehemaliger Leiter der Gesamtschule Schotten und unermüdlicher Übersetzer zwischen Deutsch und Russisch, fasste die Arbeit zusammen: "400 Kinder aus dem Dorf Mertschitzy in einer verstrahlten Region Weißrusslands konnten wir schon zum Erholungsaufenthalt in Schotten bewirten, 2020 wird die 15. Gruppe zu Gast sein."

 

Deutlich wurde bei diesem Treffen im Dekanatsjugendhaus Schotten, wie die Mitglieder der Initiative zu einer freundschaftlichen Gemeinschaft zusammengewachsen sind. Typisch: Im Hof wartete der Schottener Bäckermeister Joachim Haas mit seinem fahrbaren Backofen und hatte die Flammkuchenzutaten parat. Zu jedem Erholungsaufenthalt der Mertschitzy-Kinder kommt er ins Dekanatsjugendhaus und bringt Weißbrotteig mit, den die Jungen und Mädchen als Zöpfchen, Schnecken und Kringel formen und frisch aus dem Ofen genießen.

 

Die Dekanin begann das Treffen mit einer Andacht und stellte in den Mittelpunkt einen Vers aus dem 2. Philipperbrief "Gott ist es, der in euch wirkt". Wie damals die Nöte der jungen Gemeinde in der Hafenstadt Philippi Hilfsbereitschaft und soziale Kompetenz erforderten, so habe auch der Aufbau der Erholungsmaßnahmen vor große Aufgaben gestellt. Sabine Bertram-Schäfer: "Gott befähigt Menschen, sich für einander einzusetzen."

 

Willi Lückel erinnerte an den April 1986, an das Reaktorunglück im Kernkraftwerk Tschernobyl weite Gebiete verstrahlt wurden und die Regierungen Weißrusslands und der Ukraine versuchten, die Folgen in der Öffentlichkeit herunter zu spielen. Die Auswirkungen für die Bevölkerung ließen sich nicht geheim halten. Erst mit den politischen Veränderungen in der ehemaligen Sowjetunion wurde es möglich, dass andere Länder aktive Hilfe leisten konnten. Dafür setzten sich seit 1992 in der Propstei Oberhessen die Pfarrer Christof Geist und Klaus Steckenreuter ein. Engagierte aus dem damaligen Dekanat Schotten nahmen mit ihnen Kontakt auf und in einer Dekanatssynode wurde der damalige Dekanatsjugendreferent Hans-Joachim Adolph mit dem Aufbau einer Hilfsinitiative beauftragt. Mit seiner Frau Elke war er auch jetzt zum Treffen gekommen und erinnerte im Gespräch an die vielen organisatorischen Details, die zu lösen waren, an Probleme bei den Grenzübertritten und mehr. In den ersten vier Jahren fanden auch Hilfsgütertransporte statt, Kernaufgabe waren aber immer die Erholungsaufenthalte ganzer Schulklassen zur gesundheitlichen Stabilisierung.

 

Annelore Beljanski kam 1996 aus der Landfrauenarbeit heraus zur Tschernobyl-Initiative. Als sich 2010 Hans-Joachim Adolph beruflich veränderte, übernahm sie die Leitung der Initiativgruppe und damit die Organisation der Erholungsaufenthalte. Bewirtung der Kinder und ihrer Lehrkräfte, ärztliche und insbesondere zahnärztliche Untersuchungen, Organisation von Schul- und Freizeitangeboten, Gewinnen und Koordinieren von Hilfskräften - das alles haben zunächst Adolph, dann Beljanski einem Einsatz gemeistert, der fast rund um die Uhr ging. Lückel wandte sich an Pfarrer Eckhardt: "Deine Vorgänger haben die Messlatte hochgehängt - denk dran, wie eins der Kinder sagte: 'Gott hat Frühstück gemacht!'" Doch im Gespräch wurde deutlich, was die Arbeit lohnt: die Freude der Kinder am Aufenthalt und die freundschaftlichen Kontakte nach Mertschitzy, die entstanden sind.

 


Tschernobyl-Initiative Schotten freut sich über gelungenen Aufenthalt

 

(SCHOTTEN/det) - Nun sind die 14 Mädchen und 11 Jungen mit ihren drei Lehrkräften und der Begleiterin und Übersetzerin Galina Kutscherowa wieder wohlbehalten zu Hause im weißrussischen Mertschitzy. „Es war eine Gruppe, die sich an allem freuen konnte“, betont Annelore Beljanski, die Vorsitzende der Tschernobyl-Initiative im Dekanat. „Schon beim Essen staunten die Kinder immer wieder über vieles, was uns selbstverständlich ist: Nutella neben Marmeladen, Wurst und Käse auf dem Frühstückstisch, Obst zum Nachtisch oder bei den Zwischenmahlzeiten. Erdbeeren und Melonen waren besonders beliebt, ebenso die Kuchenspenden am Nachmittag, die wir reichlich bekommen haben“.

 

Erneut hatten die Mitglieder der Tschernobyl-Initiative ein unterhaltsames Programm organisiert. Das Sommerwetter war günstig, das Schottener Schwimmbad ein beliebtes Ziel. Rund um das Dekanatsjugendhaus, im Garten, auf dem Sportfeld waren die Kinder ausgiebig in Bewegung. „Die Kinder haben viel erlebt. Die Kühe auf dem Bauernhof Hild, den wir besuchten, faszinierten sie ebenso wie Zuckerbäcker Haas mit seinem fahrbaren Backofen, wo sie aus Teig Brote formen und backen durften. Die Sommerrodelbahn, die Spielplätze in der Umgebung, der Vogelpark, der Ausflug nach Steinau an der Straße, das Grillfest in Rudingshain, das Zuschauen beim Altstadtlauf in Schotten und das Benefizkonzert des Gospelchores – an allen Angeboten nahmen die Mädchen und Jungen lebhaft und vergnügt, aber auch dankbar teil“, berichtet Beljanski.

 

Einmal war die Erholungsgruppe aus Schlitz im Dekanatsjugendhaus zu Gast, die auch aus dieser Region in Weißrussland kommt. Im Gespräch der Erwachsenen wurde allerdings deutlich, warum den Kindern der Aufenthalt hier so paradiesisch vorkam. In Weißrussland ist auf dem flachen Land die Arbeitslosigkeit hoch. Gab es um das Jahr 2000 in Mertschitzy noch eine Kolchose mit vielen Arbeitsplätzen, ist diese längst aufgelöst. Die Einwohnerzahl des Ortes ist auf 150 abgesunken. Wer Arbeit sucht, muss über weite Strecken pendeln oder wandert gleich ab. Die verbleibenden Familien verfügen nur über geringes Einkommen, die wirtschaftliche Zukunft der Region ist ungewiss.

 

Der offizielle Abschied fällt immer schwer. Die Organisatoren hatten für alle Mertschitzy-Gäste „Familientüten“ mit Nutella, Zitronentee und anderen beliebten Sachen gepackt. Der Gründer und langjährige Vorsitzende der Tschernobyl-Initiative, Hans Joachim Adolph, und weitere Mitglieder und Freunde waren gekommen. Der stellvertretende Dekan Wolfgang Keller verabschiedete die Gruppe mit guten Wünschen und dankte allen Engagierten. „Eine fast 30-köpfige Gruppe rund um die Uhr drei Wochen zu bewirten, geht nur mit einem superzuverlässigen Team. Dazu kam, dass einer unserer Tatkräftigsten durch eine Erkrankung ausfiel. Aber wir haben es geschafft, die Kinder hatten eine gute Zeit“, freut sich Beljanski und dankte allen, die zum Gelingen beigetragen haben.


„Kinder stabilisieren sich“

TSCHERNOBYL:  Annelore Beljanski und Wilhelm Lückel über Kontakte zu Weißrussland, das Leben dort und die Hilfe für die jungen Menschen

 

Quelle: Kreis-Anzeiger 25.06.2016

 

(SCHOTTEN/em) - Sie waren fast von Anfang an dabei, als das damalige Evangelische Dekanat Schotten Kinder aus weißrussischen Dorf Mertschitzy im Pinsk-Kreis zur Erholung einlud. In mehreren Besuchen dort haben sie einschneidende Veränderungen erlebt. Der Kreis-Anzeiger sprach mit Annelore Beljanski, Vorsitzende der Initiativgruppe „Hilfe für Tschernobylkinder“, und mit Wilhelm Lückel, dem Leiter der Gesamtschule Schotten, Lehrer unter anderem für Russisch. Er ist ein wichtiger Dolmetscher bei Erholungsaufenthalten und Besuchen.

 

 

Herr Lückel, Sie hatten schon Studium und Russlandaufenthalte hinter sich, ehe es zu Kontakten nach Mertschitzy kam. Warum gerade das Studium einer slawischen Sprache – weit schwieriger als Ihr zweiter Studienschwerpunkt Englisch?

 

Lückel: Ich hatte immer Freude an Fremdsprachen und fand Russisch verhältnismäßig leicht zu lernen. Hilfreich war in meiner Schulzeit, dass uns bald Literatur geboten wurde: Kurzgeschichten von Tschechov, russische Übersetzung von Goethe-, von Heine-Gedichten. Die „Lorelei“ ist dort populär, wurde mehrfach nachgedichtet. Als Student war ich öfter zu Kurzaufenthalten in den früheren Sowjetrepubliken.

 

Und bei solchen Besuchen: Russland-Schock oder Russland-Sympathie?

 

Lückel: Eindeutig Sympathie. Wohl musste sich bei Kontakten erst ein Vertrauensverhältnis aufbauen, staatliche Kontrolle war zu merken, wenn auch abnehmend. Aber dann habe ich Menschen näher kennengelernt, die ihrem Land tief verbunden waren, mit kritischen Vorzeichen auch seiner kommunistischen Ideologie. Ich denke mit Respekt und Sympathie an sie.

 

Frau Beljanski, wie sind Sie in die Mertschitzy-Kontakte hineingewachsen?

 

Beljanski: 1996 war die zweite Erholungsgruppe im Dekanatsjugendhaus untergebracht. Ich war Bezirksvorsitzende des Landfrauenvereins Schotten. Wir haben mit Geld- und Sachspenden, mit Hilfeleistungen die Aktion unterstützt. So ist der Kontakt zu den begleitenden Lehrerinnen, insbesondere Galina Kutscherowa, entstanden, so bin ich mehr und mehr in die Arbeit der Initiativgruppe hineingewachsen und habe 2000 nach der beruflichen Veränderung des Gründers Hans-Joachim Adolph den Vorsitz übernommen.

 

Auch Sie sind in einer landwirtschaftlichen Umgebung aufgewachsen, in Busenborn. Wie war Ihr erster Eindruck vom Dorf Mertschitzy?

 

Beljanski: Wie eine Reise in die Vergangenheit. Die Leute in ihren kleinen Holzhäusern lebten als Selbstversorger, hatten eine Kuh, ein paar Hühner, einen Nutzgarten – das hatte ihnen der Staat als Privatbesitz zugestanden. Es ist auch noch heute für sie wichtig. Erst nach einigen Tagen habe ich die Kolchose mit fast 200 Arbeitsplätzen, mit großenteils mechanisierter Landwirtschaft kennengelernt.

Lückel: Ich war 1994 zum ersten Mal in Mertschitzy, habe einen Hilfsgütertransport aus dem Dekanat begleitet. Das war für kurze Zeit hilfreich, später haben wir Hilfsgüter im Land gekauft, weil das etwa bei Krankenhausbetten, bei Medikamenten passgenauer war. Hilfslieferungen haben wir inzwischen aufgegeben und konzentrieren uns auf die Erholungsangebote für die Schulkinder.

 

Mertschitzy ist nach wie vor landwirtschaftlich geprägt, gewerbliche Arbeitsplätze gibt es wohl erst im Umfeld der Kreisstadt Pinsk, etwa 40 Kilometer entfernt. Hat die weißrussische Landwirtschaft Zukunftschancen?

 

Lückel: Die Kolchose ist geschlossen, damit gingen 200 Arbeitsplätze in Mertschitzy verloren. Generell ist Weißrussland nicht so fruchtbar wie die benachbarte Ukraine mit ihren Schwarzerdeböden. Wohl fördert der weißrussische Staat einzelne Agrarzentren und ihre Kollektivlandwirtschaften, aber es gibt keine Hilfsprogramme in der Fläche, nicht einmal Anschub für Privatinitiativen wie „Unser Dorf hat Zukunft“. Und selbst bei guten Ernten – wohin können Lebensmittel aus strahlenbelasteten Gebieten exportiert werden?

Beljanski: Auch in Deutschland gibt es Probleme mit dem Funktionsverlust des ländlichen Raumes, mit Dörfern als „Pendlerschlafstätten“. Aber in Mertschitzy ist das viel dramatischer. Junge Leute finden nur in den Städten Arbeit, die Alten bleiben zurück, die Familien werden auseinandergerissen. Es wird immer schwerer, die Infrastruktur aufrecht zu erhalten.

 

Bei Grenzkontrollen muss es manchmal lange Wartezeiten gegeben haben. Ist der Kontakt mit den weißrussischen Behörden generell schwierig?

 

Beljanski: Vor Ort überhaupt nicht, Bürgermeisterin Anna Piskun ist unserer Initiative freundschaftlich verbunden, kam schon mehrfach mit nach Schotten. Gerade bei den Anfangskontakten haben uns die Mitglieder des Brester Friedensfonds viele Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt, sind heute noch hilfreich bei Behördenkontakten. Insbesondere Tanja Grischokowa und Lydia Romanjuk hatten wir in der Vergangenheit sehr zu danken.

 

Erschreckend war der Bericht der Begleiterinnen. Der Beton-Sarkophag über der Kraftwerksruine Tschernobyl ist schadhaft, erneut tritt Strahlung aus. Was unternehmen die Ukraine, Weißrussland?

 

Lückel: Sie sind hier auf die Hilfe anderer europäischer Länder angewiesen. Insbesondere Deutschland und Frankreich sind an einer besseren technischen Lösung für die Ruine interessiert. Generell ist Weißrussland kein wirtschaftsstarkes Land. Es ist zwar politisch stabiler als viele andere ehemalige Sowjetrepubliken, verfügt über gut ausgebildete Fachkräfte bei niedrigen Löhnen, aber findet auf westlichen Märkten kaum Exportabnehmer, ist an den krisenhaften Wirtschaftsraum Russland gebunden.

 

Das Leben scheint für Menschen in Weißrussland nicht leicht zu sein. Muss man von einem „Land im Niedergang“ sprechen?

 

Lückel: Vorsicht! Man darf die Stärken Weißrusslands nicht unterschätzen, etwa sein Bildungssystem. Musikalische Kinder werden erfolgreich gefördert, im naturwissenschaftlichen Unterricht gibt es gute Konzepte in Verbindung von Theorie und Praxis. Auf Sport wird Wert gelegt. Ganz aktuelles Beispiel: Die Gruppe, die gerade zur Erholung hier ist, war im Sportunterricht mit einer Förderstufenklasse, ein Jahr älter, zusammen und voller Energie dabei. Beim Völkerballhaben die Gastkinder gewonnen.

 

Sind Erholungsaufenthalte gewissermaßen der „gesundheitliche Königsweg“ für Kinder aus strahlenbelasteten Gebieten?

 

Beljanski: Die Kinder stabilisieren sich merklich. Ein kleiner Junge hatte ein hartnäckiges Ekzem, zu Hause praktisch behandlungsresistent. Die Mutter war überwältigt, als er nach drei Wochen aus Schotten zurückkam – der Ausschlag war weg!

Lückel: Die Kinder sind weiterhin der Strahlenbelastung ausgesetzt. Erholungsaufenthalte tun gut, können aber das Grundproblem nicht lösen.

 

Gibt es auch außerhalb der Erholungsaufenthalte den Kontakt Mertschitzy-Schotten?

 

Beljanski: Freundschaftliche Verbindungen sind entstanden, die seit Jahren bestehen. Junge Leute waren zu Sprachaufenthalten hier, wir haben bei Besuchen dort die herzliche, großzügige Gastfreundschaft Weißrusslands erlebt.

 

Lückel: Ich sehe ein Defizit im Bürgerdialog mit ehemaligen Ostblockstaaten, Verschwisterungen bestehen häufig nur mit west- oder mitteleuropäischen Ländern. Es ist schön, diesen „kurzen Draht nach Russland“ zu haben. Und im Kontakt mit den Kindern bekommt man so viel Freude zurück.

 

Wir bitten um ihre Mithilfe in Form von finanzieller Unterstützung.

 

Kontakt                                                                              

Leiter der Initiativgruppe: Pfarrer Frank Eckhardt

Hoherodskopfstr. 13

63679 Schotten-Breungeshain

Telefon: 0 60 44 / 25 54

Telefax: 0 60 44 / 95 12 39

E.Mail: frankeckhardt[at]gmx.de

 

 

Spendenkonten

VR Bank Main-Kinzig-Büdingen

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